Bild: Steht geflüchteten Frauen zur Seite: Der Verein agisra (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale, sexuelle und rassistische Ausbeutung). , Der Verein agisra engagiert sich besonders für weibliche Geflüchtete Foto: Irene Allerborn

Tausende Menschen suchen derzeit Zuflucht. Unter ihnen sind besonders viele Frauen. Der Verein agisra kümmert sich um sie und klärt über frauenspezifische Fluchtgründe auf.

„Sie ist so lieb, sie hat immer so viel Anstand in ihrem Auftreten!“ –  Shewa Sium spricht über eine Frau, die ihr besonders in Erinnerung geblieben ist: Sarah* hat bereits viel erlebt. Schematisch schildert Shewa ihre Geschichte: In ihrem Herkunftsland ist Sarah mit einem alten Mann gegen ihren Willen verheiratet worden. Nachdem ihr die legale Einreise nach Europa verweigert worden ist, floh sie auf illegalem Wege aus dem Land.

Shewa – die kurz innehält, sichtlich in Gedanken bei Sarah – ist eine der sieben Frauen, die bei agisra arbeiten; einem Verein, der Informations- und Beratungsangebote für geflüchtete Frauen und Migrantinnen in Köln anbietet. Das Büro der Beratungsstelle wirkt warm, ein reges Frauentreiben erfüllt die Zimmer. Telefone klingeln, Frauen, die Fragen haben oder Information suchen, kommen und gehen wieder.

In diesen Tagen hört man viel über Menschen auf der Flucht. Ihre dramatische Geschichte wird  durch zahlreiche Bilder und Reportagen in die Öffentlichkeit getragen. Nach Angaben der UN waren im Juni diesen Jahres 60 Millionen Menschen auf der Flucht – mindestens die Hälfte davon sind nach Schätzungen des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen, Frauen. Auch Männer und Kinder fliehen vor Krieg, Gewalt und Armut. Doch es gibt Fluchtursachen, die oft nur Frauen betreffen.

Sexuelle Gewalt

In Kriegs- und Krisengebieten sind Frauen in mehrfacher Hinsicht gefährdet: wie die Männer leiden sie an Hungersnot und physischer und psychischer Gewalt. Doch spätestens mit den Verbrechen an Jesidinnen und anderen Frauen in Syrien und Irak wird deutlich, dass Frauen Betroffene von Vergewaltigungen werden können. Diese perfide Waffe ist so alt, wie der Krieg selbst. Zwar gibt es in Baden-Württemberg ein Projekt, das 1000 jesidischen Frauen aus dem Irak Schutz und Hilfe bieten soll, doch für die meisten Frauen, die aufgrund von sexueller Gewalt aus ihrem Land geflohen sind, ist es schwer, diese nachzuweisen. Und ohne Nachweis gilt oft keine Aufenthaltsgenehmigung.

Neben sexueller Gewalt droht Frauen und Mädchen in vielen Regionen (vermehrt) Afrikas die Genitalverstümmelung. Dabei werden die äußeren Organe der weiblichen Genitalien entfernt oder verletzt. „Hierzulande scheuen sich die Menschen, über das Thema zu sprechen. Es ist schwer, dafür breites Interesse zu wecken“, sagt Shewa, während sie über die Angelegenheit aufklärt. Dabei sind nach Informationen der UNICEF, z.B. in Ägypten, 91 Prozent der Frauen von der Prozedur betroffen.

Die Sache mit der Ehe

So wie Sarah sind viele Frauen weltweit von Zwangsverheiratung betroffen. In manchen Ländern werden sie auch aufgrund von Ehebruch verfolgt. Zwar leiden unter diesen Regelungen sowohl Männer, als auch Frauen, jedoch sind die Folgen für Frauen oft weitreichender und greifen tiefer in ihre Persönlichkeitsrechte. Zu den Folgen gehören auch sogenannte „Ehrenmorde“, bei denen die Vorstellung dominiert, dass die Ehre der männlichen Familienmitglieder von dem Verhalten der Frauen abhängt. Bei – aus Sicht der Männer – ehrenrührigem Verhalten der Frau nehmen sich die Familienmitglieder das Recht heraus, gegen die Frau Morddrohungen auszusprechen oder diese in die Tat umzusetzen.

Deutschland, das Land der Richter und Paragraphen

All diese Taten werden in Deutschland und in Europa verhöhnt. Die Zwangsehe steht hierzulande unter Strafe, ebenso wie Vergewaltigung, FGM/FGC oder selbstverständlich jegliche Art von Mord. Auch die Vereinten Nationen haben sich in zahlreichen Resolutionen gegen Gewalt an Frauen ausgesprochen, seit 2008 wird die Vergewaltigung von Frauen im Krieg als strategische Kriegshandlung „anerkannt“ und verurteilt.

Trotz alledem ist die Situation für geflüchtete Frauen in Deutschland sehr schwierig. Oftmals ist es unmöglich, das Verbrechen zu beweisen. Ihre Anträge auf Asyl werden mit der Begründung abgelehnt, die Frauen würden auch in anderen Teilen ihrer Herkunftsländer ausreichenden Schutz finden. Viele Frauen sind durch das Erlebte traumatisiert und können es durch die Hürden, die ihnen durch Gesetze in den Weg gelegt werden, nicht verarbeiten. Dabei kann die Flucht nach Europa für viele Frauen, vor allem für allein reisende Frauen, sehr gefährlich werden. Nur 30 Prozent der AsylantragstellerInnen in Deutschland seit Anfang dieses Jahres waren nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Frauen. Der große Teil der Frauen flieht aus unterschiedlichen Gründen innerhalb ihres Herkunftslandes.

Die erschwerten Prozeduren für Frauen verwundern im Angesicht der Debatten um frauenspezifische Fluchtgründe. Solange es den Frauen von amtlicher Seite erschwert wird, Schutz vor Verfolgung in Deutschland zu erhalten, wirken Debatten um Zwangsehe und Vergewaltigung scheinheilig.

Shewa erzählt Sarahs Geschichte weiter: „Der Asylantrag der Frau in Deutschland wurde abgelehnt.“ Bei ihrer Einreise hat sie sich nicht getraut, ihre Geschichte in vollem Umfang zu erzählen. „Sie war traumatisiert und brauchte Zeit, um das Geschehene einem Fremden erzählen zu können.“ Mit den Frauen von agisra an ihrer Seite stellte Sarah einen zweiten Asylantrag, der dann genehmigt wurde „Jetzt möchte die Frau ihr Studium wieder aufnehmen.“ Shewa lächelt zufrieden, scheinbar froh darüber, eine gestärkte Frau mehr durch die Wirren der Asylparagraphen gebracht zu haben.

*Um die Anonymität ihrer Klientinnen zu wahren, dürfen die Mitarbeiterinnen von agisra Details über ihre Fälle selbstverständlich nicht nennen.

: Gastautorin Irene Allerborn

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