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Kommentar. Präsident Erdogan ernennt regierungstreuen Rektor an der Bogazici-Universität.

Die Bogazici-Universität in Istanbul gilt als eine der führenden Unis des Landes und hat mit fünf Prozent einen verhältnismäßig hohen Ausländer:innenanteil, denn die Unterrichtssprache ist Englisch. Unter anderem deshalb ist die Lehreinrichtung bisher auch als besonders liberal bekannt. Der ehemals an der Universität tätige Professor Faruk Birtek glaubt, dass dieser Umstand schon lange störend für den türkischen Präsidenten war. „Wir sind eine dem Westen gegenüber offen eingestellte Universität. Erdogan kann damit nichts anfangen. Die Mehrheit der Studenten dieser Universität stammt von konservativen anatolischen Familien – wir haben sie durch unsere Erziehung bereichert“, so Birtek. Bis 2016 war es an türkischen Einrichtungen üblich, dass die Universitäts-Rektor:innen intern demokratisch gewählt wurden, doch nach dem fehlgeschlagenen Militärputsch machte es sich die AKP-Regierung zur Aufgabe mittels einer Vielzahl von Entlassungen und Zwangsexmatrikulationen unter dem Vorwand terroristischer Propaganda auch in der Bildung für Regierungstreue zu sorgen.
Als nächster Schritt dieser Maßnahmen ernannte Erdogan nun mit seinem Lieblingswerkzeug, dem Notstandsdekret, den 51-jährigen Melih Bulu zum neuen Direktor der Bogazici-Universität. Das Gründungsmitglied der AKP hatte sich 2015 erfolglos selbst für die Kandidatur der AKP aufstellen lassen wollen. Seitens der anderen Lehrkräfte und Studierenden wird daran kritisiert, dass dies einen klaren Eingriff in die akademische Freiheit bedeute und stattdessen wie bisher dieses Amt von jemandem bekleidet werden sollte, der:die mit den Gesetzen und Praktiken der Uni vertraut ist. Da seit dem Putschversuch eine Unterschrift des Präsidenten genügt, um an einer türkischen Uni das Direktor:innenamt auszutauschen, wurde diese Maßnahme im letzten Jahr bereits an 21 weiteren Universitäten durchgesetzt. Damit wurde eine sehr mächtige Waffe gegen die Meinungsfreiheit geschaffen. Ähnlich wie im Fall der ungarischen SZFE, wo durch den dortigen Präsidenten Orban ebenfalls die Ernennung eines neuen Direktors die angehenden Künstler:innen des Landes konservativer ausgebildet werden sollen, sorgten diese Maßnahmen für starke Proteste der Studierenden. 

Bei den Protesten kam es selbstverständlich auch zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Tränengas und Plastikgeschosse einsetzte und mindestens 16 Personen in Gewahrsam nahm, denen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand gegen Beamte vorgeworfen wird. Schon 2018 wurden einige Studierende der Bogazici-Universität festgenommen, die gegen eine türkische Militär-Offensive in Syrien demonstriert hatten und daraufhin von Erdogan lapidar als „Verräter“ und „Terroristen“ bezeichnet wurden. Derartige Vorwürfe gehen dem türkischen Präsidenten auffällig leicht über die Lippen, denn immer wieder werden Oppositionelle auf solche Weise denunziert. Der Professor für Soziologie an der betroffenen Uni, Bülent Kücük, sieht auch eine Entwicklung, die über die akademische Welt hinausgeht. „Heutzutage werden Hunderte von Bürgermeistern von Zwangsverwaltern ersetzt. Millionen von Wahlstimmen wurden ignoriert. Es gibt ein totalitäres Regime, in dem diejenigen, die der AKP die Treue schwören, die Führung übernehmen“, vermutet Kücük. Durch die Bedrohung von Jobverlust oder gar Gefängnisstrafen sollen die Institutionen ruhiggestellt werden. Nun soll es den lautesten liberalen Stimmen an den Kragen gehen, die sich aber auch am lautesten dagegen wehren. Doch gegen die gewaltigen Rechte, die sich Erdogan selbst gegeben hat, kommen die wütenden Demonstrant:innen nur schwer an.

:Henry Klur

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