Bild: Symbolbild, Neuer Streit zur Erinnerungskultur CC0

Kommentar. Kolonialverbrechen und Holocaust, wie stehen sie in Verbindung zueinander, und ist ein solcher Vergleich überhaupt zielführend, sinnvoll oder gar grundlegend relativierend und antisemitisch? Solche Fragen werden beim Historikerstreit 2.0 diskutiert.

In den Jahren 1986 und 1987 entbrannte im Feuilleton westdeutscher Zeitungen eine Kontroverse, die heute unter dem Namen „Historikerstreit“ bekannt ist. Grundlegendes Thema war dabei die Behandlung des Holocausts im Kontext der Geschichtsschreibung und gesellschaftlichen Erinnerung: Wie steht die Shoah in Relation zu anderen Genoziden und wie können die Taten des deutschen Faschismus in ein identitätsstiftendes Geschichtsbild integriert werden? Ausschlaggebend waren Aussagen des Historikers und Philosophen Ernst Nolte zu Wurzeln des Holocausts in den Gulags der Sowjetunion, die Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas scharf kritisierte.  Nun befinden wir uns inmitten einer Debatte, die gern als Historikerstreit 2.0 bezeichnet wird. 

Während Nolte im Historikerstreit noch einen rechts-konservativen Blickwinkel vertrat, kommt die Kritik am vermeintlichen Paradigma des Denkens und Redens über den Holocaust dieses Mal aus einer primär progressiven Richtung. So bezeichnete der australische Historiker A. Dirk Moses den Umgang der Deutschen mit der Erinnerung an den Holocaust als einen „Katechismus“ – eine beinahe religiöse Überzeugung von gewissen Tatsachen, die kein Abweichen zulässt. Der vorhergehende „alte Katechismus“, der die Verantwortung für den Holocaust in einigen, wenigen Personen sah, sei abgelöst worden durch die Umdeutung der Shoah zu einem „heiligen Trauma“ im Gedächtnis der Deutschen. Ein Trauma, das über sämtliche Vergleiche erhaben ist. Besonders die Erinnerung an den Kolonialismus, und die Internierungen und Genozide, die in seinem Namen stattfanden, würde dadurch in den Hintergrund gedrängt, und man erzeuge eine Opferhierarchie, bei der die Opfer des Holocausts stets an oberster Stelle stehen müsse, so sieht es der US-amerikanische Anglist und Literaturwissenschaftler Michael Rothberg. Im Gegensatz zu dem Standpunkt von Ernst Nolte, geht damit jedoch keine Entlastung der Deutschen für den Holocaust einher, sondern vielmehr eine Ausweitung der Perspektive.

Ohne Kritik stehen diese Thesen jedoch nicht da. Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, sieht darin nicht nur ein grundlegendes Missverständnis der Singularität des Holocausts. Nicht das Ausmaß, sondern die Qualität sei unterschiedlich, und Kolonialverbrechen – und die Erinnerung an sie – konkurrieren nicht mit dem Holocaust, sondern seien inhärent anderen Charakters. Schlussendlich, so sagte sie in einer Gesprächsrunde der Bildungsstätte Anne Frank, stünde dahinter ein Versuch zu „Delegitimieren“ mit dem Ziel, dass man „am Ende, ohne wenn und aber, Israel kritisieren und wenn’s geht, abschaffen kann“. Der Vorwurf von ihr, und Gesprächspartner Dr. Patrice Poutrus – Historiker und Migrationsforscher – ist, dass man gar nicht über die Kolonialverbrechen rede würde, sondern nur verlange, über den Holocaust weniger zu reden. Der ebenfalls am Gespräch beteiligte israelische Pädagoge und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank gab außerdem zu denken, dass das von Moses und Rothberg dargestellte „Verbot“ historische Kontinuitäten darzustellen, in der Realität so nicht existiere, er jedoch eine gewisse Steifheit der Diskussionskultur sieht, und vor allem rechte und konservative Kräfte versuchten, mit Verweis auf den Holocaust den Diskurs zum Kolonialismus aus der Öffentlichkeit zu drängen. Der Diskurs um diese Fragen scheint offensichtlich im vollen Gange zu sein, und es wird interessant zu beobachten sein, wie er sich weiter entwickelt. Eine stärkere Präsenz des Gedächtnis an Kolonialverbrechen wird ein Umdenken in der Erinnerungskultur wohl unabdingbar machen. Wie es schlussendlich aussehen wird, wird sich jedoch erst mit der Zeit zeigen.

:Jan-Krischan Spohr

 

 

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