Bild: Cineastischer Denkanstoß: Snowpiercer läuft seit dem 3. April in den deutschen Kinos., Beispielhafte Gesellschaftskritik: Joon-ho Bongs Snowpiercer Quelle: Thimfilm

Nach einem missglückten Experiment, das eigentlich die globale Erderwärmung aufhalten sollte, wird die Welt in eine neue Eiszeit gestürzt: 2031 haben Eis und Kälte das Leben auf dem gesamten Planeten nahezu ausgelöscht. Lediglich ein riesiger Zug, angetrieben von einer unerschöpflichen Maschine, pflügt auf einem weltumspannenden Schienennetz durch die totbringende Eiswüste. In sich trägt er die letzten Überlebenden, einer längst vergangenen Welt.

An Bord des stählernen Gefährts herrscht strikte Klassentrennung. Während die unterste Klasse im Heck des Zuges vor sich hinvegetiert, genießen die Bessergestellten in den vorderen Abteilen ein unbeschwertes Leben. Für Ordnung sorgen die bewaffneten Sicherheitskräfte des Unternehmers und Zugführers Wilford (Ed Harris). Der Schöpfer des Zuges und Wächter der (Zug-)Maschine wird von den Passagieren der oberen Klassen vergöttert und verehrt. Mit brachialer Gewalt und Schikane unterdrücken seine Schergen die Menschen, die in den hinteren Waggons zusammengepfercht sind. Wenig verwunderlich, dass sich recht schnell Widerstand gegen die gewalttätige Obrigkeit regt. Der ambitionierte Curtis (Chris Evans) und sein Freund Edgar (Jamie Bell) wollen die Zustände nicht länger hinnehmen. Zusammen mit der Unterstützung des alten Gilliam (John Hurt), der gleichsam Sprecher und Vertreter der untersten Klasse ist, planen sie eine Revolution. Ihr Ziel ist es, die „heilige Zugmaschine“ zu erobern, denn „alle Revolutionen scheiterten, weil sie nicht die Maschine eroberten“.

Ein Meer von Metaphern

Liest man den Plot von „Snowpiercer“, könnte man vermuten, dass es sich bei dem Film des koreanischen Regisseurs und Filmemachers Joon-ho Bong („Mother“) um eine weitere abstruse Dystopie handelt. Dem ist nicht so. Snowpiercer möchte keine weitere Weltuntergangsfantasie sein, die sich in die lange Kette der Endzeit-Adaptionen einreiht. Das Werk möchte zum Denken anregen und dabei Kritik an unserer gegenwärtigen Gesellschaft üben – und dies tut der Film in vortrefflicher und beispielhafter Weise. „Realismus“ sucht man in Snowpiercer genauso vergebens wie eine ernstgemeinte Dystopie oder Interpretation des Erdentods. Sicherlich ist es Unsinn, dass ein Zug durch eine totbringende Eiswüste rast und dabei auf den Schienen verbleibt – ohne richtige Wartung und Materialschwund. Darum geht es ja auch nicht.

Der Film kumuliert in bildgewaltigen Metaphern die Grundlagen der marxistischen Gesellschaftstheorie und vermischt diese mit einer äußerst kritischen Betrachtung des westlichen „Way of Life“. Pfadabhängigkeit, Alternativlosigkeit und gesellschaftliche Ohnmacht sieht man in „Snowpiercer“ ebenso wie die niedersten Triebe des Menschen. Und das macht den Film zu einer ungeschönten Interpretation unserer heutigen Ellbogengesellschaft, in der diejenigen auf der Strecke bleiben, denen das System nicht mehr helfen kann oder will.

Die Dummen sollen dumm bleiben

Dass „Snowpiercer“ kein stupider Actionfilm ist, merkt man recht schnell. Das Netz an Metaphern und Anspielungen ist so komplex, dass man es nur schwerlich übersehen kann. Viel zu eng sind die Maschen, die Joon-ho Bong mit seiner Adaption der Graphic Novel „Schneekreuzer“ von Jacques Lob und Jean-Marc Rochette webt.

Es ist ein Dilemma, denn genau solche Filme könnten Hollywood dabei helfen, aus der desaströsen Abwärtsspirale zu entkommen, die sich aus unkreativen Remakes, Sequels und Prequels zusammensetzt.

Leider sehen einflussreiche Filmproduzenten wie Harvey Weinstein das anders. Bereits 2013 sicherte sich die Weinstein Company die internationalen Rechte an dem post-apokalyptischen Thriller – kurzerhand kürzte man das Werk für den englischsprachigen Raum um zwanzig Minuten. Die Erklärung für diesen Schritt ist ebenso erschreckend wie beispielhaft für das moderne Kommerzkino – man wolle den Film auch für Kinobesucher in Iowa und Oklahoma verständlich machen. Auch hier regt sich bereits Widerstand. In verschiedenen Ländern laufen derweil Bestrebungen, den äußerst erfolgreichen Film ungekürzt zu veröffentlichen.

Man muss leicht schmunzeln, wenn man die zahlreichen Botschaften des Films in Bezug zu Weinsteins Kommentar setzt. Nahezu maßgeschneidert passt Joon-ho Bongs Werk auf dieses Statement. Der Mann am Kopf des Zuges ist niemand anderes als ein weiterer Weinstein, der die Massen besänftigen möchte, um seinen Status zu erhalten.

Sehr sehenswert!

Gibt man sich dem Film hin und identifiziert die zahlreichen Anspielungen, die Snowpiercer so herausragend werden lassen, bekommt man mehr als bloße Unterhaltung – man bekommt Kunst serviert. Dadurch wird Snowpiercer zu einem Kino-Highlight, das man in diesem Jahr keinesfalls verpassen sollte.
 

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