Ich möchte Brite werden. Nicht, weil ich dann durch die transatlantischen Datenkabel endlich wüsste, was meine NachbarInnen und FreundInnen und Verwandten in aller Welt (und deren befreundete Geheimdienste) über mich erzählen. Ich kann ja auch einfach fragen. Dass ich nach dem Final-Aus der deutschen Wimbledon-Hoffnung Sabine Lisicki jetzt Herren-Champion  Andy Murray in seine Heimat folgen will, ist auch nicht ganz richtig. Ebenso wenig ist es die Inselküche, die mich reizt. Stattdessen möchte ich mit zwei weiblichen Bekannten, die ich über eine Internetplattform (nicht immer schlecht, diese Datenkabel!) kennengelernt habe, ein Patchworkprojekt aus der Petrischale starten. Für FreundInnen derartiger boulevardesker Buchstabenbasteleien kann man auch von „Labor-Lebensgemeinschaft“ oder „Nanotechnik-Nachwuchs“ sprechen. Aber der Reihe nach.

Eines Morgens vor gar nicht allzu langer Zeit blickte ich verschlafen in den Spiegel. Was ich da sah, gefiel mir ausnehmend gut. Eine Schlagzeile der Onlineausgabe sprach dort von „Doppeltem Elterngeld für Eltern von Zwillingen“. Deutsche Eltern dürfen für jedes Kind des derartigen Wurfs (weltweit immerhin jeder 40.) seit neuestem separat Elternzeit beantragen. Das heißt konkret, dass ein Elternteil für das eine Kind 12 Monate und zwei für das andere beantragen kann und umgekehrt. Das Elternpaar kann sich also gemeinsam über ein Jahr lang um den Nachwuchs kümmern. Das alleinewar für mich schon ein faszinierender Gedanke. Sofort suchte ich nach medizinischen und okkulten Möglichkeiten, die kleinstmögliche Mehrlingsgeburt herbeizuführen. Vorher wollte ich eigentlich keine Kinder, aber die Idee ließ mich nicht mehr los. Einen ganzen Tag lang durchsuchte ich die Internetpräsenzen kanadischer Schamanen, ließ mir bruchstückhafte Transkripte burundischer Weissagungen von dubiosen Übersetzungsprogrammen anfertigen und quälte mich sogar durch schweizerdeutsche Forenbeiträge.

Am nächsten Morgen gönnte ich mir eine Pause. Mein Browser führte mich zurück in kartierte Bereiche der im Netz gespeicherten Datenwüste. Ich erreichte mit letzter Kraft eine der vielen denkfreien Oasen in der endlosen Geröllsteppe des globalen Uploads: Spiegel Online. Mal wieder. Was ich dort las, katapultierte mein Stammhirn durch die unsauber verputzte Nahtstelle meiner Fontanellenöffnung an die Decke, wo es kleben blieb und mir traurig auf die Tonsur tropfte. Da stand doch tatsächlich, dass die großartigen Briten einen Gesetzentwurf diskutieren, der es ermöglichen würde, ein Kind mit drei Elternteilen zu zeugen. Konkret geht es um die Legalisierung der Möglichkeit, eine entkernte weibliche Eizelle mit weiblichem Eizellenerbgut einer anderen Frau und einem männlichen Spermium zu kombinieren. So könnten zum einen mitochondriale Erbkrankheiten vermieden werden. Zum anderen aber bietet die Kombination der beiden Gesetze die Möglichkeit einer entspannten Elternzeit zu dritt für meine beiden Netzbekanntschaften und mich. Ich spende drei Spermien, und je eine der Damen je drei Eizellen und drei Zellkerne. Der Austragungsort wird durch Münzwurf entschieden.

Das ist übrigens gar nicht moralisch verwerflich: Alles findet ja steril im Labor statt. Keine Eifersucht, kein Drama, kein Stress. Und am Tag des doppelten Kaiserschnitts lasse ich mir der Fairness halber den Blinddarm herausnehmen. Das erste Jahr werden wir dann erst einmal im Vereinigten Königreich verbringen. Und wie wir drei und unsere Kleinen dann mit den Kochkünsten der InsulanerInnen klarkommen, könnt Ihr ja über die Abhörung der transatlantischen Datenkabel herausfinden.
 

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