Es gibt nichts neues unter der Sonne. Vor allem nicht bei den sich ewig wiederholenden Diskussionen um vermeintliche Cancel Culture und Zensur. Ein gutes Beispiel ist der vermeintliche „Diskurs“ um einen sexistischen Schlagersong. 

Freiwillig, aus eigenen Stücken, entschied sich zuerst der (private!) Veranstalter einer Würzburger Kirmes dazu, einen derzeit besonders bekannten Schlagersong nicht zu spielen. Der Text sei besonders sexistisch und diskriminierend. Auch im Kontext des Oktoberfestes und anderer Veranstaltungen wurde sich dann dieser Entscheidung angeschlossen. Die Reaktion darauf ist so erbärmlich wie erwartbar. Denn nun fühlen sich einige in ihrer Freiheit, Frauen zu belästigen und Lieder darüber zu singen eingeschränkt. Und sich gegen diese Zensur, diese Cancel Culture, zu positionieren wird zum heiligen Ziel jedes deutschen Fans des Komasaufens und ungefragten Grabschens, und man fühlt sich wie die Weiße Rose im Kampf gegen die Nazis. Wahre deutsche Freiheitskämpfer! Am einfachsten macht man es sich natürlich mit dem „Aber die Anderen“-Argument. Denn laut den beiden „Künstlern“ hinter dem Lied, sei der Text ja auch nicht viel schlimmer als bei „jedem Deutschrap-Lied“. Und da rege sich ja auch niemand auf. Denn wenn ein Genre dafür bekannt ist, dass sich wenige Leute darüber aufregen oder es kritisieren, dann Deutschrap. Vielmehr wirkt es so, als sollte man es andersherum betrachten: Warum werden die Texte mancher Deutschrap-Songs so gern benutzt als Munition für oft rassistische Tiraden, aber bei dem was alljährlich von der Mallorca-Crowd, beim Oktoberfest, auf Schützenfesten, auf der Kirmes et cetera im Delirium mitgegrölt wird, drückt man schon mal ein Auge zu. Ist ja deutsche Kultur. 

Und damit ist man der Wahrheit näher als man denkt. Denn der Sexismus und die Übergriffigkeit dieser Lieder sind ein Zeichen für generelle, strukturelle Probleme (nicht nur) unserer Gesellschaft. Ein weiteres Kapitel dieses „Diskurses“ zeigt gut, wie lächerlich das ganze ist. Für einen Auftritt beim ZDF-Fernsehgarten wurde den Musikern klar gemacht, dass sie den Song in der aktuellen, unzensierten Version, dort nicht spielen dürfen werden. Das ist nichts Neues, und ist schon öfter so vorgekommen, wurde dabei auch meist hingenommen. Nun werden jedoch plötzlich Stimmen laut, die das alles für furchtbar und für unerträglich halten. Man solle sich nicht unterkriegen lassen! Der regressive Kulturkampf muss schließlich auf jedem noch so kleinen Schlachtfeld ausgetragen werden. Die Reaktionen auf selbst winzige Schritte gegen Diskriminierung und sexualisierte Gewalt zeigen jedoch auch, dass Fortschritte gemacht wurden. Denn offenbar fürchten sich diejenigen, die bisher wegen ihres Verhaltens keine Konsequenzen spüren mussten, das zeigt die Härte ihrer Reaktionen. Davon, solche reaktionären Empörungskampagnen aufzuplustern und nach mehr aussehen zu lassen, als sie sind, profitieren auch immer die gleichen. Die immer selben Agitateure:innen in den immer selben Zeitungen kommen mit den immer selben Argumenten. Und leider springen andere dann immer wieder mit auf diesen Zug. Auf jede Schmutzkampagne der Springer-Medien muss eine Reaktion aus anderen Medien führen, man kann das ja alles nicht so stehen lassen. Dann lädt man Leute ein für Interviews oder in Talkshows, und spricht darüber, dass das eigentlich alles richtig und wichtig sei! Und immer wieder springt man übers Stöckchen, bis man alle Zeit und Energie nur noch für solche Reaktionen aufwendet und für eigene Themen keine Energie mehr hat. Und dann haben die, gegen die man sich vermeintlich einsetzt, genau das erreicht, was sie wollen.                                                  
 

  :Jan-Krischan Spohr

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