Bild: Dr. Sina Nitzsche: Die Dozentin lehrt nicht nur an der Universität, sondern ist auch Gründerin des European HipHop Studies Network., :bsz im Gespräch Bild: :Geroyche

Interview. Dr. Sina Nitzsche forscht und lehrt in der Amerikanistik der RUB und TU Dortmund; ihre Schwerpunkte sind amerikanische Populäre Kulturen und visuelle Medien im 20. und 21. Jahrhundert, insbesondere die Hip-Hop Studies.

:bsz: Sie haben sich auf Hip-Hop Studies spezialisiert; was interessierte Sie daran?
Dr. Sina Nitzsche: In den 90ern habe ich selber Hip-Hop gehört und bin zu Jams und Festivals gegangen. Im Studium habe ich gemerkt, dass man sich damit auch kulturwissenschaftlich damit beschäftigen kann. 2006 habe ich als Assistentin die Chemnitzer Konferenz ,,HipHop meets Academia‘‘ mitorganisiert – das war während der ersten Welle der Hip-Hop Studies in Deutschland, die in den frühen 2000ern begann. Auf der Konferenz habe ich gelernt, dass es dieses spannende Forschungsfeld gibt und es hat mich nie mehr losgelassen. Jetzt sind die Hip-Hop Studies ein zentrales Anliegen meiner Arbeit, sie zu fördern, ein Bewusstsein dafür zu schaffen und aufzuzeigen, wo die Probleme bei der Erforschung der Kultur liegen.
Ich finde es interessant, wie sich Hip-Hop in den letzten 40 Jahren über die ganze Welt verbreitet hat, wie die Kultur es schafft, sich immer wieder neu zu erfinden, neue Ausdrucksformen zu entwickeln und wie sie sich zu den aktuellen gesellschaftlichen Spannungsfeldern positioniert, wie zum Beispiel Sexismus, Antisemitismus, und Homophobie.

Sie beschäftigen sich auch mit critical race theory. Inwieweit geht dies mit Hip-Hop einher?
Hip Hop is a black culture. Wenn man sich mit Hip-Hop beschäftigt, muss man sich auch mit Rassismus beschäftigen – und allem, was dazu gehört: Schwarz sein, Weiß sein, kulturelle Aneignung und Intersektionalität.

An der Schnittstelle von Geschlecht und race (Hautfarbe) sind auch Feminismus und das Problem der Exklusivität des White Feminism ein Thema.
Ja, besonders in der Geschichte des Feminismus gibt es den sogenannten Second Wave Feminism, der in den 70er/80er Jahren in den USA vorherrschend war. In dieser Strömung ging es hauptsächlich um die Belange weißer Frauen aus der Mittelschicht. Im englischsprachigen Raum ist man mit dem Postfeminismus seit den 90ern und 2000ern davon weggekommen. Darin geht es unter anderem um die Belange der nicht-weißen Frauen. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund fällt auf, dass in der öffentlichen Debatte in Deutschland eher der Second Wave Feminismus vorherrscht, bei dem die spezifischen Problemstellungen schwarzer, muslimischer und trans*-Frauen größtenteils ausgeklammert werden. Diese Frauen machen andere Erfahrungen als weiße, heterosexuelle und bürgerliche Frauen und haben dadurch auch andere Anliegen. Tendenziell sieht man diese Anliegen aber weniger in den medialen Feminismusdebatten.

Was sind denn speziell Themen des Schwarzen Feminismus?
Zum Beispiel der Körper der schwarzen Frau, kulturelle Stereotypisierungen wie Übersexualisierungen, Zugang zu Institutionen und Machtpositionen. Ein Problem ist auch, im öffentlichen Diskurs um Rassismus häufig patriarchalische Strukturen reproduziert werden. Wenn es um race geht, rücken oftmals schwarze Männer in den Fokus. Schwarze Frauen erfahren dann auch wieder Ausgrenzung. Das sieht man sehr gut an der Black Lives Matter-Bewegung: Beim Thema Polizeigewalt haben sich die Nachrichtenmedien auf die Übergriffe auf junge schwarze Männer konzentriert, aber es gibt genauso Polizeigewalt gegen schwarze Frauen. Sie scheinen im größeren medial-gesellschaftlichen Diskurs abwesend zu sein – obwohl die Black Lives Matter-Bewegung von drei Frauen gegründet wurde.

Denken Sie, dass Schwarze Feministinnen* auch anders aufgenommen werden als weiße Feminist*innen?
Ja, ich denke schon. Sie werden anders wahrgenommen. Daraus ergibt sich natürlich auch eine andere Agenda und andere Themen, die der schwarze Feminismus bearbeitet.

Haben Sie selbst schon dazu geforscht?
Ja, ich habe einen Artikel über die amerikanische Rapperin und Aktivistin Sister Souljah geschrieben. Ich habe analysiert, wie Souljah in ihrer Musik, Literatur und Auftritten in den sozialen Medien an die langen afroamerikanischen literarischen und politischen Traditionen Aktivismus anknüpft, wie zum Beispiel der Autorinnen und Aktivistinnen Phillis Wheatley, Sojourner Truth und Harriet Tubman. In dem Artikel argumentiere ich, dass Souljah in ihrer Autobiographie No Disrespect diese Traditionen nutzt, um eine neue Generation von Leser*innen zu ermächtigen und zu ermutigen, ihre eigene Erfolgsgeschichte zu verfolgen und für Gleichberechtigung zu kämpfen.

Haben Sie auch schon Kurse zu diesem Thema angeboten?
Ja, denn Feminismus ist auch in den Hip-Hop-Studies ein großes Thema. Der Hip-Hop-Feminismus setzt an dem scheinbaren Widerspruch an, dass Hip-Hop eine männlich dominierte Kultur ist und Frauen herabsetzt, aber trotzdem viele Frauen gerne Hip-Hop hören.

Sie haben auch das European HipHop Studies Network gegründet. Inwieweit spielen hierbei race, Ethnizität und Feminismus eine Rolle?
Das Netzwerk ist ethnischer und Gendergerechtigkeit verpflichtet und versteht Hip-Hop in Europa als Resultat vielfältiger kolonialer, transnationaler, und transatlantischer Verflechtungen. Allerdings ist die Hip-Hop-Forschung selbst in rassistische akademische Strukturen eingebettet. Das heißt, dass Karrierewege für Hip-Hop-Forscher*innen oft prekärer sind als für Forscher*innen in etablierten Themen weißer Männer oder Frauen. Gleichzeitig ist es schwieriger, Hip-Hop-Themen oder Curricula nachhaltig zu verankern. Im Vergleich zu den USA gibt es zum Beispiel keine Professur oder keinen Studiengang zum interdisziplinären Themenfeld Hip-Hop-Studies. Ein weiteres Problem ist, dass die Hip-Hop-Studies in Deutschland tendenziell weiß und männlich dominiert sind. Diese erdrückende (männliche) Whiteness in einem traditionell afroamerikanischen und postkolonialen Forschungsfeld ist das Resultat vielschichtiger Diskriminierungsmechanismen. Um diesem entgegen zu wirken und die transnationale Hip-Hop-Forschung zu fördern, habe ich vor ein paar Jahren das Europäische HipHop-Studies Netzwerk gegründet.

Das Interview führte :Charleena Schweda

 

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