Bild: „Wie viel Tradition steckt in den beiden Ruhrgebietsvereinen?“ Zwischen zweifel - haften Sponsorenverträgen und profitablen Aktienverkäufen., GELD SCHIESST TORE, TRADITION WIRFT BENGALOS? – Teil 3 der :bsz-Reihe zur Lage des Fußballs – Zwischen Tradition und Kommerz: BVB und S04 Karikatur: Sabrina Schmid

RB Leipzig hat ungewollt eine Diskussion  über die Vereinbarkeit von traditionellen Werten und gleichzeitiger internationaler Wettbewerbsfähigkeit der Vereine ausgelöst. Die beiden großen Ruhrgebiets-Clubs Borussia Dortmund und Schalke 04 gehen dabei unterschiedliche Wege, das Ziel aber vereint die Rivalen: eine internatio­nale Marke aufbauen.

Vorbei ist die Zeit, als man sich auf der luftigen und nassen Gegengerade des Parkstadions auf eine Bratwurst getroffen hat, um sich eine mittelmäßige Bundesligapartie des FC Schalke 04 anzuschauen. Schalke spielt jetzt in der Veltins-Arena, einem 200 Millionen Euro teuren modernen Mehrzweck-Stadion, das 60.000 Menschen allen Komfort bietet; Regen bekommt man hier nicht ab, dafür teures Bier für 3,90 Euro und eine Bratwurst für knapp drei Euro. Überhaupt ist es für Fußball-NostalgikerInnen schwer zu begreifen, das Fußballspiele heute als „Events“ verkauft werden und die Menschen dabei unterhalten werden wollen. Früher war der einfache Schalke-Fan mit Malochern zufrieden, die auf dem Platz alles geben, fighten für den Verein.

Der Nachbar aus Dortmund spielt im Signal-Iduna-Park, hat mit über 80.000 ZuschauerInnenn den besten ZuschauerInnenschnitt Europas und hat außerordentlich erfolgreiche Jahre hinter sich. Doch auch der BVB-Fan merkt, dass der Verein einen schmalen Grat verfolgt, um Traditionen aufrecht zu halten und im knallharten internationalen Wettbewerb bestehen zu können. „Die Stadionrechte wurden an Signal-Iduna verkauft, die Dauerkarten werden auch immer teurer und jetzt mussten sogar langjährige Fans ihren Platz räumen, um den VIP-Bereich des Stadions vergrößern zu können“, empört sich der BVB-Fan Horst Trill, der über 20 Jahre Dauerkarteninhaber war.

„Echte Liebe“ vs. „Wir leben dich“

Beide Vereine können nicht abstreiten, dass Fußball heute mehr geworden, medial präsenter, internationaler und mit noch mehr Geld verbunden ist. So versuchen sie dem einfachen Fan zu verkaufen, dass die Grundwerte beibehalten werden: Dortmund versucht mit dem Slogan „Echte Liebe“ die Verbindung zwischen Fan und Verein zu unterstreichen, Schalke-Fans sollen den Verein „leben“. Die Schalke-Homepage gibt es mittlerweile auch auf Japanisch, Premium-Sponsoren wie Hisense oder Huawei sollen die Verbindung nach Asien herstellen und Dortmund wird bald eine Dependance in Singapur eröffnen, um mittelfristig jährlich 20 Millionen Euro in Asien zu verdienen. Echte Liebe zum Geld.

Gazprom vs. Evonik

Was ist also ein Traditionsverein und wie unterscheidet er sich von Vereinen wie RB Leipzig und TSG Hoffenheim? Schalke 04 hat als Trikotsponsor den Kreml-nahen Energie-Riesen Gazprom, dessen bestehender Vertrag bis 2018 verlängert wurde. Borussia Dortmund ist seit 2000 an der Börse notiert und konnte im letzten Monat Anteile im Wert von 140 Millionen Euro an Evonik, Puma und Signal-Iduna verkaufen. Passt das alles noch zusammen? Unterscheiden sich beide Vereine wirklich so sehr von den Brause- bzw. Software-Clubs dieser Welt? Die Fan-Kultur wird sich in den kommenden Jahren verändern und der internationale finanzielle Druck wird steigen. Doch echte Liebe bleibt und wird weitergetragen. Trotz aller Kommerzialisierung können beide Vereine auf eines zählen: Echte Fans, die ihren Verein leben. Ob in schwarz-gelb oder blau-weiß.

:bsz-Reihe: Geld schießt Tore, Tradition wirft Bengalos?

„Die machen den Fußball kaputt!“

…das warf man sich jüngst vor, als das DFL-Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ Ende letzten Jahres verabschiedet wurde und zahlreiche Proteste in den Stadien nachsichzog. Fans warfen den Liga-Verantwortlichen, Sponsoren und Polizei vor, mit übertriebenen Kontrollvorlagen die Fankultur zu ersticken. Im Gegenzug werden die Leute auf der Tribüne dafür kritisiert, für Krawalle zu sorgen: Platzstürme, Hasstiraden und fackelnde Bengalos im Block und auf dem Rasen – König Fußball erscheint als Symptom für gesellschaftliche Widersprüche. Deutschland ist Weltmeister, aber von Burgfrieden ist weit und breit nichts zu sehen; stattdessen wird die Fangemeinde hierzulande polarisiert: Mäzenate, Retortenvereine und die allgemeine Kommerzialisierung des Profifußßballs sorgen dafür. Auf der anderen Seite sehen wir einen alltäglichen Existenzklampf der Traditionsvereine: Legendäre Clubs wie Rot-Weiss Essen, MSV Duisburg oder Rot-Weiß Oberhausen (,um nur wenige zu nennen) stehen oder standen am Rande des Abgrunds. Aber was, wenn alles durchkommerzialisiert ist? Wenn ein Stadion dem anderen ähnelt? Fangesänge der eigenen Mannschaft nicht mehr von den gegnerischen Chören zu unterscheiden sind? Wir wollen fragen: was kommt? Was bleibt? Wie wird er aussehen, unser Fußball: Eine Eskatase nach Feierabend oder routinierter Arbeitssieg? Das Beben der Kurve oder die Dekadenz der VIP-Tribüne? Das Singen der eigenen Chöre oder stumpfinniger Werbeterror? Nostalgie oder Erneuerung? Wahrheit oder Kommerz?

Bisher in dieser Reihe

:bsz 1011 — „Fußball in Zeiten der Krim-Krise“ über den Fußball in der Ukraine und Russland

:bsz  1013 — „Geld verleiht Flügel“ über Red Bull Leipzig

Demnächst

:bsz 1017 — über das Buch „111 Gründe, den VfL Bochum zu lieben“

:bsz 1019  — über Frauenfußball in Bochum
 

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