Bild: Die erste Professorin für Alevitentum: Handan Aksünger von der Universität Hamburg., In Deutschland findet das Alevitentum zu neuer Vitalität Foto: GRUENE Hamburg (CC BY-SA 2.0)

Deutschlands Bildungssystem ist für das heutige Alevitentum und dessen Identitätsfindung von besonderer Bedeutung: Hierzulande gab es den weltweit ersten alevitischen Religionsunterricht und den ersten Lehrstuhl für alevitische Theologie. Zudem engagiert sich der Bund der Alevitischen Studierenden (BDAS) inzwischen an über 30 Hochschulen – so auch an der RUB.

In der gesellschaftlichen Wahrnehmung ist das Alevitentum noch immer wenig präsent. Häufig wird es bloß als eine „liberale“ Form des Islam beschrieben, in der das islamische Recht der Scharia keine Rolle spielt. Dabei ist das Alevitentum trotz seines Bezugs auf den Koran weit eher als eigenständige Religion anzusehen. Es handelt sich um einen auf das Diesseits orientierten, mystischen Glauben, der die Einheit von Gott und Schöpfung lehrt sowie die Bekämpfung des Egos. Von zentraler Bedeutung ist für die AlevitInnen ein humanistischer Lebensweg, bei dem das eigene Reden und Handeln zum Guten gelenkt wird.

Pädagogik und Theologie

Für die Anerkennung und Entwicklung dieser Religion wurde von der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF), dem Dachverband der mehr als 500.000 hier lebenden AlevitInnen, viel erreicht. 2002 fand an Berliner Grundschulen erstmalig ein alevitischer Religionsunterricht statt. Später haben weitere Bundesländer solchen Unterricht ermöglicht; NRW tat dies 2008. An der Pädagogischen Hochschule Weingarten wird seit 2011 der Erweiterungsstudiengang „Alevitische Religionslehre/Religionspädagogik“ angeboten.

2015 wurde an der Universität Hamburg schließlich die erste Professur für alevitische Theologie geschaffen. Besetzt wurde sie mit der promovierten Ethnologin Handan Aksünger. Durch diesen Lehrstuhl ist erstmals ein Raum entstanden, um die vielen mündlich überlieferten Gedichte und Gebete, welche zu den Hauptquellen des Alevitentums gehören, systematisch zu erfassen und zu erforschen.

Duygu Yücel, Co-Vorsitzende des Bundes der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ), beschreibt die Bedeutung dessen: „Zum ersten Mal in ihrer Geschichte können sich AlevitInnen wissenschaftlich mit ihrer eigenen Religion auseinandersetzen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der im Alevitentum bis jetzt gefehlt hat. Gleichzeitig ist es eine Möglichkeit, die bis heute unbekannte Religion an die breite Öffentlichkeit heranzutragen.“

Jubiläum an der RUB

Bei der Bochumer Gruppe des Bundes der Alevitischen Studierenden (BDAS) geht es neben der Information über das Alevitentum vor allem um gesellschaftliches Engagement. So erklärt der Co-Vorsitzende Murat Karaağaç zum Selbstverständnis seiner Hochschulgruppe, dass diese „sich vor dem Hintergrund alevitischer Werte für eine säkulare, humanistische, solidarische, umweltfreundliche und demokratische Gesellschaft einsetzt“.

Zu den Aktivitäten im letzten Semester gehörte auch, am Waffelstand Spenden für eine humanitäre Einrichtung in der syrisch-kurdischen Stadt Kobanê zu sammeln. Und schließlich kam selbst das Vergnügen nicht zu kurz: Vergangenen Mai feierte der BDAS Bochum im KulturCafé „mit Musik und Tänzen“ sein vierjähriges Jubiläum.

:Gastautor Patrick Henkelmann

 

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