In Klagenfurt ist zum 38. Mal der renommierte Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen worden. Die 25.000 Euro für die überzeugendste Darbietung in zeitgenössischer Literatur gehen an Tex Rubinowitz, einen in Wien lebenden Cartoonzeichner, und seine Story „Wir waren niemals hier“. Die Tage der deutschsprachigen Literatur verstehen sich als Bewahrer ästhetischer Tradition und als Seismograf für erneuernde Tendenzen, sie sind aber vor allem ein Fest der Literaturkritik. Die Ausbeute bleibt in diesem Jahr blass. Eine Nachlese.
Josef Winkler, der mit zum Ruf der Österreicher beiträgt, sie seien für die Keller der Literatur zuständig, hat mal geschrieben: „Wenn mir ein Satz nicht wie ein Mühlstein um den Hals hängt, wozu soll ich ihn dann loswerden?“ Die Banner mit Sätzen wie diesen sind wieder abgehängt. In Lendhafen, Lorettobad und dem ORF-Theater ist wieder Alltag eingekehrt, der Alte Platz in Klagenfurt wird wieder dominiert von den Protestierenden mit den Anti-EU-Plakaten.
Das Literatur-Ufo ist weitergeflogen. Was hat es hinterlassen, und wohin fliegt es? Unsere Scanner zeigen, dass der Kurs weiter ins Moloch der Familie geht, zerrissen in der Mutter-Tochter-Dialektik, oft geht es weg von den Menschen, hin zu den illusionslosen und ideologiefreien Tieren, rennende Kühe, sterbende Karpfen und internierte Nerze allenthalben. Der hohe Ton wird gemieden, bevorzugt werden Schwere und Banalität. Dabei fehlt vielen Texten die zuletzt oft eingeforderte Dringlichkeit, wie sie die Gewinnerinnen der Vorjahre angetrieben hat.
Im Angesicht von so viel Schwere ohne Dringlichkeit ist es erfreulich (vielleicht aber auch eine Ermüdungserscheinung der Jury), dass mit dem laxen Schlaks Rubinowitz über die Studentenliebe zur Litauerin Irma (die an Batterien leckt und selbst dann abwesend ist, wenn sie da ist), der hintersinnige Unernst des Cartoonisten gewinnt. Unernst gab es sonst nur einmal, eine ironisch-schwelgerische Berlinoperette von Theaterfrau Katharina Gericke (Ernst-Willmer-Preis: 5000 Euro). Diese Leichtigkeit hat junge Literatur mal ausgemacht. Zumindest aber trägt sie LeserInnen viel weiter, als wenn er mit dem literarischen Mühlstein auf Grund läuft.
Auch Roman Marchel hat diese Leichtigkeit drauf. In seinen „fröhlichen Pferden von Chauvet“ verlieh er der senilen Mutter, der Tochter Ärztin und dem todkranken Vater so viel sinnliche Präsenz und Erinnerungen, dass sie leben. Da ist es zu verschmerzen, dass ein Juror an der Gemachtheit herumkrittelt, wenn die Frau durch den Garten kraucht und dabei ihren Pflanzen Namen von biografischen Episoden gibt. So unanbiedernd sympathisch wird die Tötung eines Todkranken selten geschildert. Eine Demonstration von Maßhalten, die bei der Preisvergabe leer ausging.
Nicht ganz leer ging die durch die Bank weibliche Wut- und Schmerzliteratur aus. Romana Ganzoni musste sich zwar anhören, sie habe ihre Lebensbilanzgeschichte einer Vierzigern so kaputtgelesen, wie es nur gehe. Doch Gertraud Klemm bekam für ihren Wutausbruch einer Mutter am Muttertag den Publikumspreis mit 7000 Euro und damit auch den Posten als nächste Klagenfurter Stadtschreiberin. Und Kerstin Preiwuß wurde zumindest zuerkannt, an ihrer Erzählung des NS-Täter-Vaters (er hat nach dem Krieg erst Totengräber, dann Pflanzenvergaser gelernt) sei es neu, dass sie die KZ-Vergangenheit in Gestalt einer DDR-Nerzfarm erzähle.
Kelag-Preis geht an Michael Fehr
Das alles ist handwerklich gut und deckt sich mit den Erwartungen, die man an Autoren auf den Sprung in die hohe Literatur hat. Einen ganz bewussten Gegenpart bildet da Michael Fehr, der den Kelag-Preis mit 10.000 Euro erhielt. Er schickt einen Gemeindsverwalter in die Tiefe des Walds der Schweizers Seele, wo Paranoia und männerbündnerische Nationalisten lauern. Fehr kommt aus der Spoken-Word-Szene, er kann aufgrund einer Sehbehinderung nicht lesen, und es hat etwas düster Orakelhaftes, wenn er mit seiner eigenen Stimme auf Kopfhörer vor dem Publikum auf- und abgeht und wenn er im hierzulande archaisch anmutenden Schweizer Deutsch dieses moderne Nationalepos „Simeliberg“ deklamiert. Ein bemerkenswerter Beitrag. Nicht nur, weil die Kärntner Slowenin Maja Haderlap (Preisträgerin 2011) in ihrer Klagenfurter Rede zur Literatur auf den Stellenwert von regionalen Kulturen und kleinen Literaturen hingewiesen hat, sondern auch weil Fehrs Text der schriftsprachlich-behäbigen Jury abverlangt, sich neu zum gesprochenen Wort zu positionieren.
Formal am zweitstärksten ist Senthuran Varatharajahs „Von der Zunahme der Zeichen“, Träger des 3sat-Preises (7500 Euro). Der Romanauszug ist ein platonischer Dialog auf Facebook, vielleicht auch in der Wechselrede der griechischen Tragödie nachempfunden, zwei Flüchtlinge erzählen einander ihre Werdegänge. Das ist vor allem deswegen interessant, weil sie ihre Biografien als feststehende Erzählungen dadurch erst diskursiv erschaffen, und weil die Dialektik zwischen Verlust der Unschuld durch Sprache und ihrer Gestaltungsmacht Anlass zu zeichentheoretischen Überlegungen gibt. Auch wenn das diegetische Alter Ego des Autors (von Haus aus Philosoph, bislang ohne literarische Veröffentlichungen) sein Deutsch bei Hegel gelernt hat.
Diskussionen über Literatur: Kritische Jury
Aber eigentlich liegt das Hauptinteresse beim Bachmann-Preis auf der Diskussion. Die Liveness wertet das Gehörte auf, das Gespräch öffnet vielen erst den Echoraum der Literatur und der Texte. So sind die Autoren, böse gesagt, einmal mehr nur Anlass und die Kritiker die eigentlichen Stars. Wobei sie sich diesmal schwer taten. Klar, es gab markige Sprüche: „Das ist doch die größte Bedrohung der Menschheit: Männer fassen sich an!“, so Burkhard Spinnen. „Hubert Winkels ist, Gott sei Dank, immer klüger als der Autor.“, kommentierte Daniela Strigl. Aber es hatte war Schweres, Ernstes, so richtig sportlich ging es diesmal nicht zu. Zumal mit dem angekündigten Weggang des Charismatikers Spinnen eine echte Wunde geschlagen wird.
Neu in diesem Jahr war übrigens Arno Dusini dabei, der sich vor allem durch seinen dauererschrockenen Blick und die prinzipienreiterische Kontrahaltung des Wiener Professors hervortat. Der muss noch ins Spiel finden. Abgesehen von der Aufdeckung einiger anschlussfähiger Bezüge zur Weltliteratur betätigte er sich hauptsächlich als literaturkritisches Freistoßspray: Weist umständlich auf Dinge hin, die eigentlich allen klar sind. Z.B. dass der Erzähler nicht der Autor ist.
Was wird, wenn es nächsten Juli ohne Spinnen weitergehen muss, wird sich zeigen. Klar ist immerhin: Es muss weitergehen. Der Preis bekommt inzwischen mehr Geld vom Land Kärnten, und mit dem Kaffeeimporteur Julius Meinl ist ein neuer privatwirtschaftlicher Sponsor dabei. Das Fortbestand scheint also gesichert. Und das Ufo kann nächstes Jahr wieder landen auf dieser Insel im Meer der Zeichen. Dann vielleicht mit einem bunteren Bewerb. Stilideal wäre da die Weltraumspelunke.
:Gastautor Fabian Mirko May
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