Professor Winter, der den Lehrstuhl für Human Ressource Management an der WiWi-Fakultät der RUB innehat, ist sich sicher: Studiengebührenfreiheit ist sozial ungerecht, eine „Umverteilung von unten nach oben“. Er rechnet die steuerfinanzierten Kosten für ein Studium mit dem durchschnittlich höheren Lebenseinkommen von AkademikerInnen gegen und kommt zu dem Schluss, dass Studiengebührenfreiheit alle Nicht-AkademikerInnen benachteiligt. Während Studierende vom Staat kostenlos Bildung erhalten, die sie in die Lage versetzt, höhere Einkommen zu erzielen als der Bevölkerungsdurchschnitt, bekommen Nicht-Studierende keine vergleichbare Leistung vom Staat „geschenkt“. Mehr noch: Sie tragen über ihre Steuern die Kosten der öffentlichen Hochschulfinanzierung mit, obwohl sie nichts davon haben. Seine Unterstellung: Reiche gönnen ihren Sprösslingen ein freies Studium unter dem Deckmantel „sozialer Gerechtigkeit“ und zocken so die Armen ab. Die Kinder einkommensschwächerer Haushalte sind an den Unis unterrepräsentiert; von der Gebührenfreiheit profitieren vor allem reiche Eltern, die nichts für die Hochschulbildung ihrer Kinder zahlen müssen.
Studiengebühren sind gescheitert
Professor Winter geht hart ins Gericht mit dem Modell mitlaufender Studiengebühren. Allgemeine Studienbeiträge vom Studienbeginn an, aber auch Strafgebühren ab einem bestimmten Semester, lehnt er ab. Menschen aus weniger gut situierten Elternhäusern würden dadurch vom Studium abgeschreckt. Sein Modell „nachlaufender Gebühren im Erfolgsfall“ hält er für ungefährlich, weil nur zahlen soll, wer ein überdurchschnittliches Einkommen erzielt. Die Kritik am Modell nachlaufender Studiengebühren muss mit einer Erweiterung der Perspektive beginnen: Soziale Exklusion entsteht bereits lange vor dem Studium durch unser Schulsystem, das eines der weltweit undurchlässigsten ist. Und auch wenn später nur zahlt, wer gut verdient, wird an der Primärverteilung nichts geändert. Wer reich ins Studium startet, kommt fast genauso reich im Berufsleben an. Wer arm startet, hat eher ein Problem damit, verschuldet ins Arbeitsleben zu gehen.
Andere Wege der Hochschulfinanzierung
Ein besserer Weg der Hochschulfinanzierung wäre, den Spitzensteuersatz für wirklich Reiche zu erhöhen, Kapitalerträge endlich auf dem gleichen Niveau zu besteuern wie Lohneinkommen und die Bildungsausgaben zu erhöhen. So ließen sich ein aufstiegsorientiertes und durchlässigeres Schulsystem und eine freie Hochschulbildung finanzieren. Und wahrscheinlich bliebe auch genug übrig, um den von Winter angesprochenen MeisterInnen eine staatlich finanzierte Ausbildung zu „schenken“. Damit wäre mehr für den sozialen Aufstieg und gerechte Bildungschancen getan als mit nachlaufenden Gebühren, die an der Primärverteilung des Wohlstands und an der sozialen Exklusion von höherer Bildung erstmal nichts ändern.
Internationalisierung als Herausforderung
Internationale Mobilität ist für Winter ein weiteres Argument für sein Modell nachlaufender Studiengebühren. AkademikerInnen gehen immer öfter zum Arbeiten ins Ausland und entziehen sich so der Finanzierung des Hochschulwesens durch Steuern. Weniger gut Ausgebildete bleiben eher hier und finanzieren die Hochschulen mit. Hier könnte ein Problem bestehen: Es gibt Länder, die ihre Hochschulen durch Gebühren finanzieren, die so hoch sind, dass Studierende lieber in die BRD kommen, um nach einem kostenlosen Studium in ihre Heimatländer zurückzukehren. Anstatt sich hier an den Gebühren-Ländern zu orientieren, könnte mensch sich genauso gut beispielsweise an Skandinavien halten, wo Bildung von der KiTa bis zum Uni-Abschluss komplett staatlich finanziert ist. Zumindest auf EU-Ebene könnte die BRD ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um europaweit gebührenfreie Bildung durchzusetzen. Das wäre ein Stück Europapolitik, das das „Projekt Europa“ zur Abwechslung mal wieder mit sozialem Fortschritt verbinden würde.
Alexander Pfitzner und Stefan Winter:
„Die Studiengebührenlüge. Wie die
Republik Bildung vernichtet und die Armen abzockt“
Europäischer Universitätserlag 2012
9,90 Euro
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