Für die PortugiesInnen wird das Leben jeden Tag härter, die staatlichen Leistungen schwinden und die öffentlichen Dienstleistungen werden auf ein Minimum heruntergefahren. BeamtInnen und RentnerInnen, die mehr als 1.000 Euro verdienen, verloren ihre Extra-Zahlungen. Jeder Arztbesuch kostet inzwischen fünf Euro. Wer zur Notaufnahme des Krankenhauses muss, zahlt 20 Euro. Der öffentliche Nahverkehr wurde teurer, zusammengestrichen und immer unpünktlicher.
Die Regierung verkaufte ihre Aktien des Stromkonzerns EDP, wird vor Ende des Jahres einen der beiden öffentlichen TV-Kanäle privatisieren und will auch die Staats-Airline TAP zu Geld machen. Mit den Kürzungen und Streichungen brach auch der Inlandskonsum zusammen. Das Bruttoinlandsprodukt verringerte sich im Zuge dessen um 3,3 Prozent in den vergangenen vier Monaten. Die Arbeitslosigkeit stieg auf den portugiesischen Rekordwert von 15,6 Prozent.
Maria, eine in Deutschland lebende Exil-Portugiesin sagt: „Ein portugiesischer Bürger verdient im Schnitt etwa ein Viertel, höchstens ein Drittel des deutschen Einkommens. Der Mindestlohn, über den hierzulande viele nicht hinauskommen, liegt bei unter 500 Euro für einen Vollzeitjob.“ Wegen der gestiegenen Preise sparen die BürgerInnen an Qualität und Quantität des Essens.
Viele sind auf Hilfsorganisationen für die Essensversorgung angewiesen. Diese verteilen jeden Tag Essen an 330.000 Bedürftige. Das entspricht knapp zehn Prozent der Bevölkerung. Re-Food beispielsweise verköstigt allein in Lissabon täglich 200 Bedürftige, die meisten in ihrer Wohnung. Die Organisation sammelt Lebensmittel in 45 Restaurants, Cafés und Bäckereien und verfügt über einen kleinen Speisesaal im Kirchenflügel. Bald wird man den Radius auf 285 Restaurants erweitern, darauf will die Organisation ganz Lissabon abdecken.
Die Schmerzgrenze ist erreicht
Ein Einwohner von Porto sagt: „Man sieht es in den Gesichtern der Menschen, die in Porto leben. Sie sind immer noch sehr hilfsbereit und freundlich zu Touristen, aber das Lächeln aus ihren Gesichtern ist verschwunden. Man kann sehen, wie traurig sie sind und wie sehr sie unter der Situation leiden.“ Kurz gesagt: Die Toleranzgrenze der portugiesischen Bevölkerung ist längst überschritten. Nach anderthalb Jahren unter dem europäischen Rettungsschirm stand in diesen Wochen die nächste Sparmaßnahme für die portugiesischen BürgerInnen kurz bevor. Nach einer langen Liste diverser Maßnahmen, wie der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent, sollte es gelingen, auch in diesem Jahr die Troikakontrollen ohne Rüge zu überstehen. Doch der Preis, den die BürgerInnen des Landes dieser Tage für ihren hoch verschuldeten Staat bezahlen müssen, ist vielen Portugiesinnen und Portugiesen zu hoch.
Premierminister Pedro Passos Coelho von der konservativen Partei PSD (Partido Social Democrata) hatte eine weitere Anhebung der Sozialabgaben für ArbeitnehmerInnen angekündigt. Ihr Beitrag sollte von 11 auf 18 Prozent erhöht werden, was einer faktischen Lohnsenkung von sieben Prozent gleichgekommen wäre. Zugleich sollten die Sozialabgaben der Unternehmen von 23,75 auf 18 Prozent gesenkt werden, um „die Einstellung von Arbeitskräften zu fördern”, so die Aussage des Regierungschefs. Coelho hat dies nun doch abgesagt. Nach einer mehrstündigen Sitzung des Ministerrats und mit Tausenden von DemonstrantInnen vor der Tür, hieß es, man werde „Alternativen zu dieser Maßnahme suchen”.
Auch die UnternehmerInnen protestierten, die Gewerkschaften, die SozialdemokratInnen, Wirtschaftsfachleute, die Presse und sogar die Partei CDS, die rechtskonservative Regierungspartnerin der PSD. Alle forderten sie den Regierungschef auf, diese Maßnahme nicht umzusetzen, denn sie sei nicht nur ungerecht, sondern auch ineffizient. Nach anderthalb Jahren knallharter Sparprogramme ist die Bevölkerung an der Grenze ihrer Leidensfähigkeit angekommen. Am Montag will Coelhos Regierung nun die Alternative zur kollektiven Lohnsenkung bekanntgeben. Die Kürzungen werden also woanders erfolgen. Bis dahin feiern die PortugiesInnen ihren Sieg über die eigene Regierung.
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