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Erst am vergangenen Freitag gab es ein weiteres großes Bootsunglück mit Flüchtlingen aus Tunesien vor Lampedusa, Italien. Letzten Donnerstag ertranken über 60 Menschen vor der türkischen Grenze, mehr als die Hälfte davon Kinder. Für diejenigen, die an den Außengrenzen Europas leben, sind dies nicht nur alltägliche Schlagzeilen, sondern greifbare Tragödien. Jedes Mal grausam, aber trotzdem nichts Neues mehr. Während die Flüchtlinge, die in Italien tot oder lebendig stranden, überwiegend aus Afrika kommen – und somit häufig als „Wirtschaftsflüchtlinge“ abgetan werden – waren die Toten vor der Türkei unter anderem aus Syrien und dem Irak. Außenminister Guido Westerwelle hat vor wenigen Tagen erstmals durchblicken lassen, dass eine Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland nicht ausgeschlossen sei, obwohl weiterhin auf Hilfe „vor Ort“ gesetzt werde. Im Klartext: Die Anrainerstaaten erhalten Geld, um sich um die Flüchtlinge zu kümmern, aber aus der Region selbst sollen diese nicht weg. Die Organisation Pro Asyl hingegen fordert ein Sofortprogramm für die Aufnahme von Syrienflüchtlingen, sowie eine Verbesserung und Vereinfachung der Situation der bereits in Deutschland lebenden syrischen Staatsangehörigen – darunter mindestens 2.000 Studierende. Viele von ihnen haben nur einen Duldungsstatus.

Asyl ist Menschenrecht und kein Privileg

Die Zeitungsartikel, die „belegten“, dass eine Aufnahme von Flüchtlingen die deutschen Bundesländer und Kommunen überlasten würde, ließen nicht lange auf sich warten. Von „Ausnahmezustand“ und „Kapazitätsgrenzen“ ist da die Rede, die Berichte über überlaufene Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen es in die Lokalpresse. Fakt ist allerdings: Von syrischen StaatsbürgerInnen gab es zwischen Januar und Juli 2.246 Anträge – davon allerdings viele von Menschen, die bereits länger in Deutschland leben. 235.000 Personen sind laut UNHCR bereits aus dem Kriegsgebiet geflohen, mehrheitlich nicht nach Europa. Diese Zahlen verdeutlichen, dass es sicher nicht deutsche Städte sind, welche durch Flüchtlingszahlen unter Druck geraten. Der sogenannte Asylkompromiss, welcher 1992 nach den Anschlägen unter anderem in Hoyerswerda, in Rostock und in Solingen beschlossen wurde, um den (angeblich) breiten gesellschaftlichen Unmut über die hohen „Ausländerzahlen“ zu befrieden, greift weiterhin. Die Zahl der Asylanträge bleibt relativ niedrig, bewilligte Anträge sind nach wie vor in der kleinen Minderzahl. Aufgrund der „sicheren Drittstaaten“, die Deutschland umgeben, ist eine Einreise sowieso nur per Flugzeug möglich. Duldung ist die Regel, Abschiebung keine Seltenheit.
Die Situation der AsylbewerberInnen, die sich bereits in Deutschland befinden, wurde zuletzt vom Bundesverfassungsgericht als das entlarvt, was sie ist – menschenunwürdig. Die Unterhaltssätze, bis dato deutlich unter HartzIV-Niveau, müssen unverzüglich angehoben werden. Seit März diesen Jahres protestieren Flüchtlinge selbst öffentlichkeitswirksam gegen die Umstände im Land – mit Camps in mehreren Großstädten und seit Samstag mit einem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin, dessen Busroute auch über Bochum führt (siehe Seite 2). Die Forderungen: Stopp aller Abschiebungen, Aufhebung der Residenzpflicht, keine Lagerunterbringung und eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge.

„Weil’s gegen uns selbst geht“

Trotz der oben genannten Tragödien, Forderungen und Rechtssprechung ist erkennbar, dass jede Diskussion um „Zuzug“, „Einwanderung“ und „Flüchtlingshilfe“ ähnliche, fast reflexhafte Reaktionen hervorruft wie schon vor 20 Jahren. Die menschenunwürdige Asylgesetzgebung, die aus den Pogromen der frühen neunziger Jahre erwachsen ist, scheint das Ausmaß an Intoleranz kaum reduziert zu haben. Ein Blick in die Leser­Innenkommentare unter den betreffenden Artikeln zeigt bestenfalls egoistische Wünsche nach Besitzstandswahrung, häufig aber auch puren Rassismus. Die Rahmenberichterstattung um die Großdemonstration zum Gedenken an „20 Jahre Rostock-Lichtenhagen“ porträtierte AnwohnerInnen, die weiterhin nur die schlechte Presse von damals kritisiere, und nicht die menschenverachtenden Verhaltensweisen, die an den Tag gelegt wurden. Problematisch sind und bleiben in vielen Augen „die Ausländer“ – und nicht der gesamtgesellschaftliche Rassismus.

Hoyerswerda ‘91– wir vergessen nicht!
Montag, 17. September 2012, 20 Uhr
Videokundgebung zu „Hoyerswerda”
Soziales Zentrum Bochum, Josephstr. 2

Keine Ruhe für Hoyerswerda!
Samstag, 22. September 2012, 14 Uhr
Bundesweite Kundgebung „Rassismus tötet” in Hoyerswerda

Infos: rassismus-toetet.de

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