Die Arbeitsmarktreform sorgt in ganz Spanien für sinkende Löhne. Wegen der harten Sparmaßnahmen der Regierung sind in den vergangenen Monaten Hunderttausende auf die Straßen gegangen, um gegen die Zustände zu protestieren. In der Hauptstadt Kataloniens eskalierten die Demonstrationen. Alex lebt in Barcelona und war für einige Stunden mittendrin in einem dieser Kämpfe, zu denen es am 29. März in Barcelona kam. Er berichtet: „Wir haben uns gegen die Polizei verbarrikadiert. Sie haben uns mit Gewalt, genauer gesagt mit Gummigeschossen, von einem Platz vertrieben. Daraufhin wurde die Demonstration zu einer Art Guerilla und zog sich bis in die späte Nacht. Alles stand in Flammen und war mit Containern verbarrikadiert. Sie haben sogar ein Starbucks abgefackelt.“
Auch passiver Widerstand soll strafbar werden
Nach den Riots hat sich die Atmosphäre in der Stadt zwar langsam abgekühlt, aber die Unzufriedenheit bleibt. Alex sagt: „Ich denke, das war nicht das letzte Mal. Es wird noch größere Auseinandersetzungen geben. Das war erst der Anfang. Es wird noch schlimmer werden. Ich weiß es.“
Regierung beschwört Bürgerkrieg
Spaniens Regierung, so scheint es, bereitet sich genau darauf vor. Denn in zunehmenden Maße beginnt die Regierung damit, die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger zu beschneiden. Kurz zuvor hatte sie bereits angekündigt, auch „passiver Widerstand“ werde demnächst strafbar. Damit übt sie erheblichen Druck auf die BügerInnen und Organisationen aus, die mithilfe von Demonstrationen auf die Armut und prekären Lebensbedingungen aufmerksam machen wollen. Außerdem wächst die Angst vor Strafen. Denn was üblicherweise mit einer Geldstrafe abgegolten wäre, soll nun in schweren Fällen deutlich empfindlichere Strafen nach sich ziehen.
Innenminister Jorge Fernández Díaz rechnet offenbar mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Auch passiver Widerstand sei ein Angriff auf das System und die Staatsgewalt, so die Argumentation. Das Strafmaß beginnt mit Haftstrafen ab zwei Jahren Gefängnis. Derselben Meinung wie Fernández Díaz scheint auch der Innenminister der Autonomieregierung Kataloniens Felip Puig zu sein, der sagte: „Wir brauchen ein System, das den Demonstranten Angst macht.“ Demonstrationen, die „die öffentliche Ordnung stören“, sollen künftig als Delikte behandelt werden. Der Staatssekretär im spanischen Innenministerium Ignacio Ulloa Rubio erklärt: „Wenn die Täter zu einer Partei, einer Gewerkschaft oder anderen Vereinigungen gehören, werden die juristisch verantwortlichen Personen dieser Institutionen nicht nur zivilrechtlich, sondern auch straftrechtlich dafür haftbar gemacht.“ Die Organisationen sollen so gezwungen werden, zu kontrollieren, was bei ihren Protestaktionen geschieht, die sie initiiert haben, lautet die staatliche Argumentation. Dass dies gerade bei großen Sozialprotesten faktisch unmöglich ist, liegt auf der Hand. Außerdem ist problematisch, dass Auslegung und Interpretation der Ereignisse durch die neuen Möglichkeiten der Kriminalisierung zukünftig noch stärker in den Händen der Behörden liegen sollen.
Gefängnisstrafen für Facebook-Postings?
Da sich viele Proteste über soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook organisieren, geraten derzeit auch sie in den Fokus der Regierung. Wer etwa auf Facebook zu gewalttätigen Protesten aufruft, soll in Zukunft „dieselbe Strafe bekommen wie jemand, der einer kriminellen Vereinigung angehört“. Somit müssen die Verantwortlichen nun bei jeder Protestaktion fürchten, bereits mit einem Bein im Gefängnis zu stehen – eine nicht ganz ungewollte Form politischer Einschüchterung, wie KritikerInnen meinen. Nach einer ähnlichen Logik sollen außerdem Eltern noch stärker für angeblich von ihren minderjährigen Kindern verursachte Schäden haftbar gemacht werden.
Einschränkung der Demonstrationsfreiheit
Dass die erst vor fünf Monaten gewählte rechtskonservitive Regierung nun so stark in das Strafrecht und in demokratische Freiheitsrechte eingreift, damit hatten viele SpanierInnen nicht gerechnet. Gleichwohl ist nicht unwahrscheinlich, dass die Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit eine Mehrheit im Parlament finden könnten. Bei den Wahlen im November hat die postfaschistische Partido Popular das beste Ergebnis ihrer Geschichte und eine komfortable absolute Mehrheit erreicht.
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