Alle tun es, aber nur wenige sprechen gerne offen darüber: Verdauung. Weltweit haben etwa 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Toiletten. Die Welttoilettenorganisation setzt sich deswegen seit 2001 für hygienischere Verhältnisse an und in Toiletten ein. Sie träumen von einer „klobalisierten Welt“ und unterstützen beispielsweise dafür ein, dass in Sambia und auf den Philippinen Sanitäranlagen gebaut werden. Dabei gibt es durchaus gravierende kulturelle und historische Unterschiede was das Verrichten der Notdurft anbelangt. Beispielsweise ist es nicht nur schwierig, in Indien an Toilettenpapier zu kommen, sondern auch ziemlich teuer. Denn dort und in manchen arabischen Ländern gilt es als äußerst unhygienisch, nach der Notdurft Papier zu benutzen – egal wie weich. Stattdessen nimmt man die linke Hand und Wasser, um sich zu waschen. Der Vorteil liegt dann quasi auf der Hand. Die Linke gilt allerdings deswegen gemeinhin als unrein. Germanen hatten es dagegen mehr mit Stroh und Laub. Man nimmt halt, was man kriegen kann – und das ist in manchen Regionen eben Sand, der bei orientalischen Nomadenvölkern fürs Danach herhalten muss.
Fokus auf den Lokus
Ähnlich wie der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss darüber spekulierte, was die verschiedenen Zubereitungsweisen von Nahrung (roh, gesotten, gekocht) über das Verhältnis von Natur und Kultur verraten können, unterzieht der Philosoph Slavoj Žižek unterschiedliche Toilettenmodelle einer näheren ideologischen Prüfung. Er konzentriert sich dabei auf drei Toilettentypen, die er für grundlegend hält: die traditionelle deutsche Schüssel, die französische und die amerikanische Toilette. Beim deutschen Design befindet sich der Abfluss vorne, so dass es möglich ist, am Kot zu riechen oder die Exkremente vor dem Spülen auf Krankheiten hin zu untersuchen. Die französische Toilette dagegen hat ihren Abfluss viel weiter hinten. Der Kot verschwindet damit so schnell wie möglich. Die amerikanische Toilette stellt für Žižek eine Synthese der anderen beiden Modelle dar, die gewissermaßen zwischen diesen zwei Polen vermittelt. Bei ihr ist die Toilettenschüssel mit Wasser gefüllt. Der Kot ist zwar sichtbar, denn er schwimmt frei herum. Aber er lässt sich so nicht inspizieren. „Eine bestimmte ideologische Wahrnehmung dessen, wie ein Subjekt mit den unerfreulichen Exkrementen seines Körpers in Beziehung treten sollte, wird darin sichtbar“, sagt Žižek.
Metaphysik des stillen Örtchens
Was aber haben Kot und Urin mit Ideologie zu tun? Um seine Sanitär-Beobachtungen auf eine potentiell zugrunde liegende Ideologie hin zu untersuchen, behilft er sich mit einem Philosophen des deutschen Idealismus. Georg Wilhelm Friedrich Hegel meinte für Deutschland, Frankreich und England unterschiedliche Haltungen zur Welt ausmachen zu können: „deutsche nachdenkliche Gründlichkeit, französischer revolutionärer Eifer und englischer moderater utilitaristischer Pragmatismus.“ Dies überträgt Žižek dann auf die verschiedenen Funktionen des intimen Umgangs mit Exkrementen. Im deutschen Sanitärbereich herrscht für ihn „mehrdeutige kontemplative Faszination“ vor. Frankreich unterstellt er „den hastigen Versuch, den unerfreulichen Überschuss so schnell wie möglich loszuwerden“. Die amerikanische Toilette dagegen zeugt für den Philosophen von einer pragmatischen Herangehensweise. Der Überschuss werde „als ein gewöhnliches Objekt behandelt, das auf angemessene Weise entsorgt werden muss.“
Wie aber würde Žižek wohl andere Aborttypen wie zum Beispiel den Donnerbalken deuten? Hier saß man vor etwa hundert Jahren in einer Reihe nebeneinander auf einem auf Sitzhöhe befestigten Holzbalken, um gemeinsam unter freiem Himmel und an der frischen Luft das Geschäft zu verrichten. Die Exkremente plumpsten einfach auf den Boden. Das Feuerklosett ist ebenfalls ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert. Hier war eine Funktion integriert, mithilfe derer die Exkremente sofort im Anschluss verbrannt werden konnten. Klingt cool, war aber umständlich und nicht wirklich geruchslos. Bleibt nur noch zu fragen, welche Ideologien wir im Sanitärbereich wohl noch erwarten dürfen. Nicht nur der Welttoilettentag am 19. November bietet insofern einen formidablen Anlass, um angesichts der vielen Möglichkeiten im Sanitärbereich einmal mit unkonventionellen Alternativen herumzuexperimentieren.
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