Sozialticket-Fakten

Seit Jahren fordern Gewerkschaften und Sozialverbände, im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr ein Sozialticket einzuführen. Nach jahrelangen Verzögerungen soll es ab November ein Pilotprojekt geben, das bis Ende 2012 begrenzt ist. Zum Kauf des Tickets berechtigt sind Arbeitslose, Hartz-IV- und Wohngeld-EmpfängerInnen sowie AsylbewerberInnen. Die ermäßigte Monatsfahrkarte soll 29,90 Euro kosten. KritikerInnen meinen: Zu teuer, denn im Hartz-IV-Regelsatz sind nur 22,92 Euro pro Monat für Mobilität vorgesehen. Außerdem gilt die Fahrkarte ausschließlich in der Preisstufe A. Das Ticket ermöglicht also noch nicht einmal eine Fahrt von Bochum nach Essen oder Dortmund. Sozialverbände hatten einen Ticketpreis von 15 Euro gefordert, außerdem bessere Konditionen. Die Landesregierung fördert die Einführung landesweit mit 15 Millionen Euro im Jahr 2011 und mit 30 Millionen Euro im Jahr 2012. Ob sich Bochum beteiligt, steht noch nicht fest. Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz hat die Verwaltung beauftragt, auszurechnen, ob auf die Stadt Mehrkosten zukommen. Letztendlich muss der Rat der Stadt entscheiden.

 

„Es bestehen keine finanzaufsichtlichen Bedenken gegen eine Teilnahme von Nothaushaltskommunen an der Pilotphase“ – das ist ist der Satz aus einem Schreiben des Innenministeriums an die Bezirksregierungen, auf den sich die jüngsten Erfolgsmeldungen beziehen. Das klingt nach einer Überraschung. Schließlich hatte es zuvor geheißen, Städte wie Bochum dürften den ermäßigten Monatsfahrschein überhaupt nicht einführen. Wegen ihrer Finanzprobleme ist es ihnen verboten, Geld für Dinge ausgeben, zu denen sie nicht rechtlich verpflichtet sind. Freiwillige Sozialleistungen? Fehlanzeige.

Keine Ausnahmeregelung

Tatsächlich handelt es sich aber keineswegs um eine Ausnahmeregelung zugunsten des Sozialticket-Projekts. Denn das Schreiben geht weiter: „Dabei gehe ich davon aus, dass in den Nothaushaltskommunen keine zusätzlichen Personalaufwendungen für Organisation und Verwaltung entstehen. Zugleich weise ich darauf hin, dass jede Nothaushaltskommune über ihre Teilnahme auf der Grundlage einer eigenen Risikoeinschätzung eigenverantwortlich entscheiden kann.“ Das bedeutet konkret: Nur, wenn die Städte sich im Vorfeld zurechtrechnen, dass sie die Einführung des Sozialtickets nichts kostet, dürfen sie das Ticket einführen. Die Kommunen alleine tragen die Verantwortung dafür, denn die Förderung durch das Land ist gedeckelt.

Schwarz-grüne Absurdität

Das Absurde an der Situation: Je erfolgreicher das Ticket ist, desto teurer wird es für die Städte. Der Grund dafür liegt in den Bedingungen, welche die CDU und die Grünen mit ihrer Mehrheit in den VRR-Gremien gemeinsam beschlossen haben.
Mehr verkaufte Tickets bedeuten zwar mehr Einnahmen für den Verkehrsverbund. Logisch wäre also, dass die Städte weniger Geld zum Ausgleich der Sozialticket-Ermäßigung an den VRR zahlen müssen, je mehr Sozialtickets verkauft werden. Aber Pustekuchen: CDU und Grüne haben den Städten eine feststehende Ausgleichszahlung pro verkauftem Ticket aufgebürdet – sogar dann, wenn das Ticket so erfolgreich wäre, dass der VRR dadurch keine Verluste macht, sondern Mehreinnahmen generiert.

Rot-Grün macht den Deckel drauf

Klar ist: Wenn das von der Landesregierung zur Verfügung gestellte Geld aufgebraucht ist, zahlen die Kommunen drauf. Genau das dürfen Städte wie Bochum aber nicht. Die absurde Konsequenz: Wenn die Städte das Ticket einführen wollen, müssen sie darauf setzen, dass möglichst wenige es nutzen.
Damit stehen zwei Möglichkeiten im Raum. Wenn das Ticket im Probezeitraum massenhaft in Anspruch genommen werden sollte, dann wäre das eine Katastrophe für die kommunalen Haushalte. Mehr noch: Städte wie Bochum, die keinen genehmigten Haushalt haben, würden sogar gegen geltendes Recht verstoßen. Das Ergebnis des Pilotprojekts wäre also: unfinanzierbar, sofortige Abschaffung. Das andere Szenario ist ebenso unerquicklich. Nur wenn die Städte es schaffen, die Betroffenen davon abzuhalten, das angeblich für sie ins Leben gerufene Ticket in großer Anzahl zu kaufen, wäre eine Fortsetzung nach dem Pilotzeitraum überhaupt denkbar – es sei denn, die Landesregierung legt bei der Förderung kräftig drauf. SPD und Grüne haben allerdings mehrfach betont, dass mehr Geld für sie erstmal nicht in Frage kommt.

Volle Fahrt gegen die Wand

Fazit: Mit dem Sozialticket-Pilotprojekt haben sich die PolitikerInnen so ziemlich das absurdeste Konstrukt ausgedacht, das möglich gewesen wäre. Sie haben sich passgenau darum gekümmert, dass das Projekt gegen die Wand fährt. Denn sollte das Ticket erfolgreich sein, müsste es in Städten wie Bochum erst recht sofort abgeschafft werden. Durch den für die Betroffenen zu hohen Preis und die miesen Bedingungen haben die Verantwortlichen freilich bereits dafür gesorgt, dieses Risiko zu minimieren. Wenn das aber nicht ausreichen sollte, bin ich gespannt, was sich die Städte sonst noch so einfallen lassen – vielleicht ja Desinformationskampagnen oder Anti-Sozialticket-Werbung. In die Logik dieses SchildbürgerInnenstreichs würde es jedenfalls passen.

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