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Die Staatsanwaltschaft legte Walter Fischer alias Oz 20 Fälle von Sachbeschädigung zur Last. Und das sind nur diejenigen, bei denen er erwischt wurde: Schätzungsweise 120.000 Tags, Smileys und Kringel in der Hansestadt gehen auf die Kappe von Oz und seinen NachahmerInnen. Damit wäre er zumindest quantitativ der erfolgreichste Sprayer Deutschlands. Seit den Achtzigern ist er aktiv und saß für seine Graffiti insgesamt schon acht Jahre im Gefängnis.
Allein für das Besprühen einer Säule an den Alsterarkaden, eine noble Einkaufspassage im Stadtzentrum, forderte die Anklage sechs Monate Haft, da Oz ein „Aushängeschild Hamburgs“ beschmutzt habe. Auch die Boulevardpresse machte Stimmung gegen die „Schmierereien“ des „Sonderlings“. Die Verteidigung, die in allen Punkten auf Freispruch plädierte, entgegnete, die Verzierungen von Oz würden eher TouristInnen anziehen als abstoßen.
Das Publikum im Gerichtssaal war jedenfalls auf der Seite des Sprayers. Auf einem Protestschild war zu lesen: „Hamburg ohne Oz… ist München!“ Im Vorhinein haben sich über 600 HamburgerInnen, darunter auch die Musiker von Fettes Brot, durch Ihre Unterschrift solidarisch mit dem Angeklagten erklärt.
So arbeiteten Fischers Anwälte, Andreas Beuth und Martin Kowalske, die beide auch schon Prozesse für AntifaschistInnen und HausbesetzerInnen geführt haben, auf eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Eigentumsrecht hin. Gerade im besonderen Fall von Sprühkunst könnten KünstlerInnen nicht ins Atelier geschickt werden: Street Art stelle Bezüge zwischen den Gegenständen im öffentlichen Raum her. Würde man diese Kunstform von der Straße verbannen wollen, würde man sie vollständig verbieten. Zudem gehöre Graffiti zum Hamburger Stadtbild und verschönere triste Betonwände. Schaden würde so jedenfalls nicht angerichtet: „Die Anklagepunkte sind beschämend und lächerlich, kein Verteilerkasten war in seiner Funktion gestört.“

„Das darf keine Kunst sein.“

Die Argumente prallten jedoch an derRechtsauffassung der Vorsitzenden Richterin Heike Valentin ab: Sie verhängte eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Sechs Fälle wurden mangels Beweisen im Verfahren eingestellt, für drei ergingen Freisprüche. Valentin sagte auch, dass sie gerne erzieherische Maßnahmen verhangen hätte. Da Oz aber bereits 61 Jahre alt ist, kommt das Jugendstrafrecht nicht infrage. Eine Bewährung kam ebenfalls nicht in Betracht, weil Oz während des Prozesses wieder sprayte.
Zum Urteil gab es von der Richterin auch eine Belehrung in Sachen Rechtskunde: Es gebe nun mal das Graffitigesetz, „und das kommt nicht von einem Diktator oder Medienboss, sondern vom Bundestag. Wenn Personen mit den Gesetzen nicht einverstanden sind, dann ist das ihr gutes Recht. Sie müssen dann Mitstreiter finden, um die Gesetze zu verändern. Sie dürfen aber nicht gegen die Gesetze verstoßen.“ Sie leistete sich bei ihren Ausführungen auch eine Spitze gegen die soziale Lage von Oz: Da er Hartz-IV-Leistungen vom Staat annehme, müsse er schließlich auch die anderen Gesetze akzeptieren.
Die Richterin fand einige Werke von Oz zwar „ganz hübsch“, widersetzte sich aber aus Angst vor den Konsequenzen der Einordnung als Kunst. Sie gab selber zu, dass das den Prozess massiv erschwert hätte: „Dann dürften die aufgesprühten Tags von den Eigentümern nicht wieder entfernt werden. Das darf sich nicht durchsetzen.“

Die Sprühdose und das Strafrecht

Die Anwälte von Oz wollen nun Rechtsmittel einlegen und bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Dort könnte dann wegweisendes Recht für alle Sprayer in Deutschland gesprochen werden. Zwar hat Karlsruhe schon 1984 in einem Graffitifall entschieden, dass sich der Geltungsbereich der Kunstfreiheit nicht auf die Missachtung der Eigentumsrechte anderer erstreckt. Doch bis heute fehlt eine höchstrichterliche Entscheidung zum neuen Graffitigesetz. Erst 2005 hatte die Große Koalition den entsprechenden Strafrechtsparagraphen so verschärft, dass Sprayen definitiv unter Sachbeschädigung fällt. Vorher musste ein Eingriff in die Sachsubstanz oder Funktion einer Sache nachgewiesen werden, was Kosten für Gutachten und Probleme bei der juristischen Aufarbeitung verursachte. Aber durch Oz könnten die RichterInnen in Karlsruhe schon bald entscheiden, ob die automatische Einordnung von Graffiti als Straftat überhaupt verhältnismäßig ist.

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