Viele zugezogene Studierende sind von den Bochumer Verhältnissen zunächst pikiert. „Überall wird gesoffen“, ist eine Standardaussage mancher Erstsemester. Und es stimmt ja: In Bochum geht die Kultur des Alkoholkonsums einen Sonderweg. Menschen, die in aller Öffentlichkeit einen tiefen Schluck aus der Bierflasche nehmen, sind hier keine Seltenheit. Dieser Umstand mag sicherlich mit der tradierten Arbeitermentalität zu tun haben, doch erfuhr er mit Etablierung der Jugendkulturen einige Modifizierungen. Zudem ist einzuwenden, dass die Trinkerkultur in Bochum eher rückläufig ist. Die Trinkgelage, denen man in der City zuweilen noch am Wochenende beiwohnen kann, sind nichts gegenüber den dionysischen Bacchanalen der 80er und 90er. Auch in Bochum hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Trank man sich seinerzeit gerne in den Ruin, so achtet man heutzutage eher auf die körperliche Gesundheit und sein Portemonnaie. So ist es in vielen Kneipen des Bermudadreiecks mittlerweile in Mode gekommen, noch nach 20 Uhr Milchkaffee oder Saftschorlen zu bestellen. Zehn Jahre zuvor wäre dies noch ein ungeheuerlicher Affront gewesen. Nichtsdestotrotz gibt es sie noch, die letzten Bastionen der alten Kneipenkultur. An einem Montagabend begebe ich mich auf einen Streifzug.
Blue Monday
Der Montag ist ein guter Tag, die spezifische Authentizität der Bochumer Kneipenkultur einzufangen. Denn wer geht schon am Montag einen trinken? Richtig – die Profis. Wichtiger Tipp: Niemals vor 22 Uhr das Haus verlassen, erst dann wird es interessant: Die KulturjournalistInnen kommen von ihren Abendveranstaltungen und warten mit Insiderinformationen auf, die MusikerInnen haben die Proberäume verlassen und die letzten Bohemiens soeben ihr Frühstück zu sich genommen. Sie alle treibt nun der Durst in die Stadt.
Ich beginne meine Exkursion im Freibeuter. Am Konrad-Adenauer-Platz neben dem kultigen Mandragora gelegen, bietet der Freibeuter der Alternativ-Szene ein Refugium in einem meist kommerzialisierten Umfeld. Die Musik ist laut, die Kellnerinnen tätowiert und das Bier gibt es zu marktüblichen Preisen. Am Wochenende ist der Laden oft überlaufen, doch an einem Montag lassen sich hier prima die ersten Biere nehmen, während aus den Boxen Turbonegro dröhnt. Da ich im Bochumer Szeneslang eine sogenannte „Stadtfresse“ bin, wird auch gerne mal ein Schnäpschen auf Kosten des Hauses über die Theke geschoben. Eigentlich könnte man schon hier den ganzen Abend verbringen, aber leider muss ich weiter.
Entlang des Engelbertbrunnens fällt die Entscheidung schwer. Linkerhand lockt der Intershop. Der Dinosaurier der Bochumer Kneipenkultur empfängt den Gast im 80er-Neon-Style. Dort hängt die lokale Musikszene rum, und die MacherInnen vom Rottstr5Theater haben den Laden zu ihrem Stammlokal erkoren. Doch zieht es mich in die Brüderstraße Richtung Zacher, denn der Intershop hat bis in die frühen Morgenstunden auf, weshalb er immer gut für einen Absacker ist, das Zacher macht jedoch dicht, wenn der Wirt zu besoffen ist, um weiter zu kellnern. Hier kommt es auf das richtige Timing an. Gottseidank hat der Laden noch auf. Im Zacher geht es neben Fußball um Alkohol. Alles andere wäre gelogen. Einst als Frühstückskaffee mit Wiener-Kaffeehaus-Charme eröffnet, durchlief das Zacher innerhalb weniger Jahre einen Strukturwandel zur Flaschenbierbar mit Jägermeisterkühlmaschine. Zum Glück für die Stadt. Denn das Zacher erinnert mit seinem unverstellten Charme an die großen Zeiten der Bochumer Kneipenkultur. Wer hier nicht gerne trinkt, sollte zuhause bleiben. Schnell noch einen Sambuca ohne Bohnen auf den geballten Fußballsachverstand und ein kaltes Grolsch für die Hand und schon geht es weiter, schließlich gibt es noch viel zu tun.
Von Opa-Kneipe zu Punkrock-Bar
Nun fällt die Entscheidung schwer. Mit dem Flaschenbier in der Hand stehe ich am Südring jenseits vieler Möglichkeiten. Westlich beginnt ab der Rottstraße das weite Land der Opa-Kneipen. Schnaps und Bier sind selten teurer als 1,20 Euro und super vollgequatscht wird man dort mit den sonderbarsten Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Einfach großartig. Doch könnte ich nun auch nordwärts wandern und nach einer Viertelstunde an der Hernerstraße im szenigen Ebstein einkehren. Ein Weg, der immer lohnt, zumal direkt neben dem Ebstein Bochums letzter Irish Pub liegt, der mit seinem Special Offer (Guiness & Whiskey für 3,50 Euro) lockt. Noch schwieriger wird die Entscheidung, da rechterhand, jenseits des Hauptbahnhofes, das Oblomow seine Pforten dem durstigen Nachtwanderer offenhält. Heute entscheide ich mich für das gute, alte Oblomow. Lange Zeit galt es als Heimat der alternativen Jugend. Und auch heute schallt mir beim Eintritt Punkrock entgegen. Die Stimmung wirkt im rustikalen Interieur ein wenig aufgeladen, doch dafür gibt es Portionen, wie seinerzeit. Ich bestelle einen Glen Fiddich und bekomme ein gut gefülltes Rialto-Glas für kleines Geld. Besser geht es nicht, doch so langsam bemerke ich, dass ich mein Level überschritten habe. So kommt das Ende recht unverhofft. Der Intershop fällt wohl für heute aus, und auch die andern Kneipen, die einer Erwähnung wert gewesen wären. Doch das ist eben auch das Versprechen der Bochumer Kneipenkultur: Hier warten Erfahrungen, die man noch selber machen darf.
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