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Als die Deutschen ausschieden, da hatte die Euphorie im WM-Land langsam Fahrt aufgenommen. Deutschland sah in diesen Wochen einmal nicht aus wie die Neuauflage des Hambacher Festes. Kaum irgendwo nervten Autoflaggen und -korsos. Besoffene und aggressive männliche Fans samt rechten Prolls hielten sich von Public Viewing und Fanmeile fern – trotzdem, gerade deswegen war die Stimmung ausgelassen, fröhlich und friedlich. Dann aber schieden die großen Favoritinnen mit Heimvorteil, zuletzt 2007 wie 2003 Weltmeisterinnen, gegen Japan im Viertelfinale aus dem Turnier aus. Im internationalen Frauenfußball war Bewegung in die Spitze gekommen, der Sport hatte sich weiterentwickelt. Während früher wenige Favoritinnenteams oft haushohe und einseitige Siege einfuhren konnten, war das Feld bei dieser WM insgesamt aufgerückt, die Luft an der Spitze dünner geworden. Der dritte Titel der Deutschen infolge hätte vielleicht diejenigen, die im Vorlauf der WM ein zweites „Sommermärchen“ herbeigeschrieben hatten, gefreut. Für Freund_innen des Frauenfußballs wie auch für Neueinsteiger_innen hätte das aber mittelfristig ein berechtigtes Gähnen provozieren müssen.

Während im Nigerianischen Verband schon Gerüchte ausreichten, um als Lesbe harten Maßnahmen unterzogen zu werden (die bsz berichtete), sorgte der Verband aus Äquatorialguinea ebenfalls im Vorfeld für Wirbel. Im Team des westafrikanischen Landes sollten angeblich drei „Männer“, das heißt wohl trans- oder intersexuelle Frauen, spielen. Auch hier an vorderster Front im Kampf um ‚natürliche‘ Weiblichkeit: Eucharia Uche, Nationaltrainerin Nigerias. „Wie schon 2008 spielen bei Äquatorialguinea mindestens zwei Männer mit. Wenn das alles erst in Deutschland auffliegt, wird es für Afrika furchtbar peinlich“ – in besagtem Jahr waren die Nigerianerinnen trotz Favoritinnenrolle von den Konkurrentinnen aufs kleine Finale verwiesen worden. Die Auseinandersetzung erinnert an den Fall Semenya. Die Südafrikanerin hatte bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin Gold auf 800 Meter geholt, als Gerüchte über ihr Geschlecht auftauchten. Ihr Körperbau solle zu männlich, ihre Stimme zu tief sein. Der Leichtathletik-Weltverband ordnete daraufhin zwei geheime „Geschlechtstests“ an, der Generalsekretär des Verbandes fühlte sich dennoch genötigt: „Es ist klar, dass sie eine Frau ist, aber vielleicht nicht zu 100 Prozent.“ Semenya durfte ihre Medaille behalten und 2010 wieder als Frau starten.

„Tittenwackeln in der ARD“

Auch wenn bei dieser WM das erste Mal im deutschen Fernsehen eine Frau ein Fußballspiel kommentieren durfte – der größtenteils um Vermeidung sexistischer Klischees bemühte Berichterstatter_innenbetrieb steht trotzdem im krassen Gegensatz zu den Realitäten am Grillrost. Zur letzten Männer-WM mussten ein paar Kreuzberger Libanesen in Schwarz-Rot-Geil dafür herhalten, den deutschen Alltagsrassismus zu nivellieren. Dieses Jahr tippte sich das bessere Deutschland in seinen Schreibstuben die Gender Gaps schön.

Japanerinnen auf der Lauer

Taktisch versiert und technisch anspruchsvoll spielten sich die Japanerinnen aus ihrem Schatten und die Deutschen im eigenen Land ins Viertelfinal-Aus. Doch gegen die Power und Erfahrung der US-Girls sahen sie am Sonntag trotzdem oft dem Ball hinterher. Was blieb, war auf Konter zu lauern, den einen Fehler der Amerikanerinnen auszunutzen, die ihrerseits permanent vor das Tor der 1,70 Meter kleinen Ayumi Kaihori preschten. Die USA gingen in der 69. Minute in Führung, Japan rettete sich kurz vor Schluss der abwechslungsreichen Partie in die Verlängerung. Nachdem Abby Wambach in der 104. Minute eine perfekte Flanke aus kräftigem Stand ins Tor köpft, nutzt Homare Sawa in der 117. Minute die Verwirrung der US-Abwehr und setzt sich die Torschützinnen-Krone auf. Im Elfmeterschießen schließlich flattern den USA die Nerven, die Japanerinnen werden Weltmeisterinnen. Ihre Trikots waren in der Heimat längst ausverkauft und der Titelgewinn dürfte im Hinblick auf die japanische Tsunami- und Atomkatastrophe allgemeine Zustimmung und damit ein rundes Ende einer spannenden, weiterentwickelten Frauenfußball-WM markieren.

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