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Man stehe vor einem Prozess, der möglicherweise Monate dauern könne, so die Begründung von Richter Johannes Kirfel für das inoffizielle Rechtsgespräch. Zuvor hatte Kirfel bereits ein Ausstrittsschreiben des 19-jährigen Angeklagten aus der NPD vorgelesen. Am ersten Verhandlungstag hatte Andre Zimmer noch erklärt, er wolle auf jeden Fall Mitglied der Neonazi-Partei bleiben. Unklar ist, ob der plötzliche Sinneswandel bereits eine mögliche Einigung auf eine nur geringe Gefängnisstrafe vorbereiten sollte – oder ob der Austritt nicht doch auf Wunsch von Zimmers bisherigen Parteikameraden geschah. Jedenfalls verfolgten der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer (vom gleichen Gericht bereits vor sechs Jahren wegen Volksverhetzung verurteilt) sowie einige weitere Neonazis auch den zweiten Verhandlungstag aufmerksam.

Die Verbundenheit verwundert wenig. Schließlich war der junge Mann, der nun in Untersuchungshaft sitzt, noch vor einem Jahr ihr Landtagskandidat im Wahlkreis Bochum I gewesen. Den direkten Kontakt zwischen dem Angeklagten und dem NPD-Vorsitzenden wusste das Gericht allerdings zu unterbinden. Als der Untersuchungshäftling versuchte, einen Brief an seinen bisherigen Vorsitzenden zu schmuggeln, wurde das Schreiben beschlagnahmt.

Gewalt gegen andere, Brandanschläge gegen sich selbst

Der Prozess ist für die NPD in mehrfacher Hinsicht mehr als nur eine Blamage. Zum einen macht er das in der Partei vorhandene Gewaltpotential sichtbar. Zimmer wird unter anderem ein gemeinsam mit Gesinnungsgenossen begangener Pfefferspray-Überfall auf eine Gruppe von AntifaschistInnen vorgeworfen. Auf Youtube hatte der bisherige NPD-Jungfunktionär derweil Videos veröffentlicht, die zeigen, wie er eine Rohrbombe zündet, Briefkästen in die Luft jagt und hierzulande illegale Böller auf „Türkenkinder“ wirft – so gibt es zumindest der mutmaßlich von Zimmer selbst stammende Titel des Videos an.

Diese Gewalt- und Propaganda­delikte, die Andre Zimmer vorgeworfen werden, sind aber nur die eine Seite der Medaille. Den Ermittlungen zufolge entzündete Zimmer zum Beispiel ein Feuer am Haus seiner Großmutter und hinterließ dort ein Flugblatt, das ihn selbst als Neonazi outete. Wenig später, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft weiter, habe er seinen eigenen Briefkasten in die Luft gesprengt und erneut Flugblätter hinterlassen, auf denen er als Nazi angeprangert wurde. Weitere Flyer und Aufkleber mit Morddrohnungen folgten. Die an den Tatorten zurückgelassenen Zettel habe er mit „Antifaschistische Jugend Bochum“ unterzeichnet, um den Verdacht auf die linke Jugendgruppe zu lenken. Auch mehrere Brandanschläge gegen seine ehemalige Schule, bei denen mindestens in einem Fall Drohungen gegen den NPD-Jungfunktionär  gefunden worden waren, gehen den Ermittlungen zufolge auf sein eigenes Konto.

Die NPD hatte vergangenes Jahr versucht, die Drohungen und Anschläge als Taten „linkskrimineller Subjekte“ zu skandalisieren. Andre Zimmer selbst erklärte in einer bundesweit verbreiteten Presseerklärung des NPD-Landesverbandes: „Ich werde mich dem linken Terror natürlich nicht beugen und mich auch weiterhin für Familie, Volk und Vaterland engagieren.“ Neben den Anschlägen gegen sich selbst und seine Verwandtschaft soll er außerdem den Vater eines Neonazi-Kameraden bedroht und zweimal einen Amoklauf an seiner Schule angekündigt haben. Vor vier Wochen wurde Zimmer erwischt, als er Schnaps in einem Supermarkt klauen wollte. Die Polizei fand auf seinem Handy außerdem kinderpornografisches Material, für das Mädchen im Alter zwischen vier und 16 Jahren missbraucht worden sind.

„Todesstrafe für Kinderschänder?“

Antifaschistische BeobachterInnen berichten, eine von Andre Zimmers bisher letzten politischen Aktivitäten in Freiheit sei die Teilnahme an einer NPD-Kundgebung mit dem Titel „Todesstrafe für Kinderschänder“ in Geldern gewesen. Nun lässt sich der junge Neonazi vor Gericht von dem Kölner Anwalt Jochen Lober vertreten, der selbst in extrem rechten Publikationen veröffentlicht. Der bekennend nationale Anwalt forderte für seinen Mandanten angesichts des Kinderpornografie-Vorwurfs allerdings überraschenderweise nicht die Todesstrafe, sondern den Ausschluss der Öffentlichkeit vom weiteren Prozess. Dem Antrag gab das Gericht zumindest für die Aussage des Angeklagten und für die Verlesung eines jugendpsychiatrischen Gutachtens im Anschluss statt. Begründung: Der Gutachter habe bereits erhebliche Selbstwertprobleme bei Andre Zimmer festgestellt. Die öffentliche Darstellung des Gutachtens könne Schaden bei seiner weiteren Entwicklung verursachen.

AutorIn der Redaktion bekannt

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