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Kurz vor Ostern verkündete die SPD-Linke Andrea Nahles, Thilo Sarrazin habe „seine sozialdarwinistischen Äußerungen relativiert, Missverständnisse klargestellt und sich auch von diskriminierenden Äußerungen distanziert“. Sie erklärte das Parteiausschlussverfahren vor der zuständigen Schiedskommission vonseiten der SPD für beendet. Damit eskalierte sie einen Streit, den zwischenzeitlich viele für befriedet gehalten hatten. Thilo Sarrazin bleibt in der SPD – vielerorts verlassen einige GenossInnen ihre Partei. Der Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verliert seinen Vorsitzenden Sergey Lagodinsky. Und auch für den Waltroper Dieter Wirdeier vom „Bündnis für Integration“ ist Schluss: „Wenn Thilo Sarrazin bleibt, dann gehe ich.“

Erblichkeit der Intelligenz

Vor 150 ZuhörerInnen stellte Sarrazin in Waltrop sein Buch vor und durfte im Gespräch mit einem Moderator erneut gegen Menschen mit Migrationshintergrund poltern. Auf Überlegungen, den MigrantInnen in der SPD durch eine Quotenregelung in den Gremien der Bundespartei mehr Einfluss einzuräumen, antwortete Sarrazin, in der Berliner SPD gebe es bereits Vorsitzende „mit ausländichen Wurzeln“. „Je migrantischer diese Leute eingestellt sind, desto weniger neigen sie dazu, Probleme oder Schwierigkeiten objektiv zu sehen.“ Verstellt ein Migrationshintergrund etwa das objektive Denken? Oder verliert man die Fähigkeit dazu, sobald man seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt? Thilo Sarrazin meint in Waltrop: „Wer die Erblichkeit von Intelligenz leugnet, ist entweder strohdumm oder auf kriminelle Weise denkfaul.“

Neonazis feiern Sarrazin

Draußen vor der Tür stehen etwa 20 Personen, für die die „Erblichkeit von Intelligenz“ auf kriminelle Weise zur Denkfaulheit dazugehört. Wenn sie nicht gerade Linke verprügeln, gegen „Ausländerbanden“ hetzen oder „Gedenken“ an SA-Angehörige abhalten, kommen die Neonazis aus dem nördlichen Ruhrgebiet gern zu politischen Saalveranstaltungen. Heute schüchtern sie eine Gruppe von GegendemostrantInnen ein, die vom Waltroper Linken Wolfgang Porrmann und dem  Dortmunder BürgermeisterInnenkandidat für Die Linke, Helmut Manz, angeführt werden. Auf Flugblättern bejubeln die Neonazis Sarrazin. Die Polizei versucht, die Gruppen zu trennen. Einige Jugendliche, die gegen die Lesung protestieren wollten, suchen lieber das Weite. In das Visier der Nazi-Banden zu geraten ist im Ruhrgebiet ein gefährliches Unterfangen.

Rassismus aus der „Mitte der Gesellschaft“

Doch nicht nur Neonazis feiern Sarrazins Thesen. Der Bochumer Axel Schäfer, Chef der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, begrüßte die Einstellung des Ausschlussverfahrens gegen Sarrazin: „Die SPD ist die Partei mit der größten Meinungsvielfalt. Wir müssen Meinungsverschiedenheiten aushalten“. Dass die Meinung des Herrn Schäfer dabei nicht so verschieden von der des Herrn Sarrazin ist, bewies der Absolvent der Ruhr-Universität dann wenige Tage darauf gegenüber Spiegel Online, als er als erster etablierter deutscher Politiker ein Burka-Verbot forderte. Gibt es also einen rechtspopulistischen Trend innerhalb der SPD? Sarrazin hat es vorgemacht: Wenn SPD-PolitikerInnen mit rassistischer Stimmungsmache die Ängste deutscher ArbeitnehmerInnen beackern, kehrt die Sozialdemokratie zu einem zuletzt eher ungeliebten Teil ihrer Wurzeln zurück. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“: Die als Sozialdemokratie organisierte Selbstzüchtigung der ArbeiterInnen garantiert die Gewissheit des Zusammenhalts im Standort gegen die Widrigkeiten des Marktes. Sie ist nicht ohne ihre Kehrseite zu haben: die der Ausgrenzung all jener, die dies nicht leisten können oder wollen.

Quo vadis SPD?

Das Beispiel Axel Schäfer macht deutlich, wie schnell sich selbst GenossInnen in als „rechts“ geltenden Themenfeldern profilieren können, selbst wenn sie gemeinhin eher zum linken Flügel der Partei gerechnet werden. Schließlich positionierte sich Schäfer gegen den europakritischen Rechtsrutsch in Finnland schon wenige Tage nach der Wahl. Die kulturalistischen Vorurteile der RechtspopulistInnen übernimmt er aber gern. Generalsekretärin Andrea Nahles, die ebenfalls als Parteilinke gilt, scheint aufgrund der verheerenden Umfrageergebnisse zu geschwächt zu sein, um den rassistischen Tendenzen der Marke Sarrazin noch Einhalt zu gebieten.
Dass sich innerhalb der Partei etwas ändern muss, wissen auch die GenossInnen – ob die offene Akzeptanz von Rassismus in den eigenen Reihen der richtige Weg ist, darüber wird weiter gestritten. Seit 1998 hat sich die Zahl der SPD-WählerInnen halbiert, nach heutigem Stand würde die Partei bei den Bundestagswahlen hinter den Grünen landen. KritikerInnen befürchten: Da sie im sozialdemokratischen Milieu viel Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, könnte die SPD versuchen, nun vermehrt auf die rassistische Karte in der Arbeitsmarktpolitik zu setzen. Die linke Konkurrenz hat es bereits vorgemacht: Der ehemalige Parteigenosse Oskar Lafontaine wusste nach seinem Wechsel zur Partei Die Linke mit seiner „Fremdarbeiter“-Rede ArbeitnehmerInneninteressen gegen ihre Konkurrenz aus dem Ausland zu wenden. Wenigstens die deutschen Gewerkschaften haben sich zum 1. Mai auf eine dezidiert andere Sprachregelung geeinigt, als sie sich um die Öffnung des Arbeitsmarktes für OsteuropäerInnen sorgten: Die Menschen aus Polen und Rumänien seien willkommen, sie dürften nur nicht dazu missbraucht werden, um die Löhne zu drücken. Deswegen müssten Mindestlohnregeln endlich flächendeckend und ohne Hintertüren gelten. Vorerst sieht es danach aus, als ob sich noch nicht einmal eine solche Position in der SPD als verbindliche Parteilinie durchsetzen würde – sondern dass Sarrazin und Co. im Rahmen der von Axel Schäfer stolz verkündeten sozialdemokratischen Meinungsvielfalt weiter rassistisch hetzen dürfen.

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