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Bis Jahresende muss die besondere Gefährlichkeit der Häftlinge in Sicherungsverwahrung geprüft werden. Die öffentliche Aufregung täuscht leicht: Die Prüfung betrifft nur etwa 70 Personen. Falls eine besondere Gefährlichkeit nicht nachweisbar ist, müssen die betroffenen Personen sofort freigelassen werden. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts können nur noch die Täter_innen weiter festgehalten werden, von denen eine „hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten“ ausgeht und die zudem an einer „zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung“ leiden. Die Richter_innen verwiesen in der Urteilsbegründung darauf, dass auch nach Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine nachträglich verlängerte oder angeordnete Sicherungsverwahrung nur unter der Voraussetzung einer psychischen Störung zulässig ist.
„Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst nimmt, muss die Sicherungsverwahrung in Deutschland auf völlig neue Füße gestellt werden. Anstelle des präventiven Wegschließens muss eine Prävention durch Resozialisierungsmaßnahmen treten“, konstatiert Dr. Michel Alex, Jurist und Psychologe, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum arbeitet. Die bisherige Praxis der Sicherungsverwahrung unterscheidet sich nicht vom Regelstrafvollzug. Die Sicherungsverwahrung darf laut BVerfG aber keine Strafe sein, sondern ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung dienen.
Die Frage laute nun, wie viel der deutschen Gesetzgebung die Freiheit der Bürger_innen wert sein wird, glaubt Alex. „Das wird viel Geld kosten, weil es nicht nur umfangreiche Baumaßnahmen, sondern auch eine Personalausstattung in den Einrichtungen erfordert, insbesondere im therapeutischen Bereich, die die gegenwärtigen Ressourcen um ein Vielfaches übersteigen“, so der RUB-Jurist. „Hinzu kommt, dass mit verbindlichen Regelungen für Vollzugslockerungen und Entlassungsvorbereitungen auch mehr Risiken eingegangen werden, dass solche Maßnahmen nicht immer erfolgreich verlaufen. Zur Verbesserung der Entlassungsbedingungen und zur Vorbereitung eines sozialen Empfangsraums wären solche Maßnahmen aber allemal risikomindernder als die gegenwärtig häufig praktizierte Form der Entlassung ohne Vorbereitung.“

Populismus gegen Vernunft

Gesellschaftlich ist das Thema Sicherheitsverwahrung sehr emotional besetzt. Die medial geschürte Angst vor dem „Kinderschänder in der Nachbarschaft“ steht in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Gefahr. Die wissenschaftliche Debatte über die Verfassungswidrigkeit der präventiven Haftstrafe ist so abstrakt, dass die Rechte der Straftäter_innen für die Politik schwer zu vermitteln sind. Konservative Politiker_innen fordern ohnehin, die Sicherungsverwahrung so streng wie möglich zu erhalten.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt die Gesetzgebung nun vor das Problem, ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept zu entwickeln und der präventiven Strafgesetzgebung ein Ende zu bereiten. Das wird schwer: „Zu befürchten ist, dass die wissenschaftlich gut abgesicherten Forderungen des Bundesverfassungsgerichts bei Bund und Ländern nicht für umsetzbar gehalten werden und wieder nur kosmetische Korrekturen erfolgen, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht in einigen Jahren erneut herumschlagen muss“, so Alex.

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