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Jeder zehnte Haushalt soll in den kommenden Wochen Besuch bekommen. Der Anteil der betroffenen Studierenden dürfte deutlich höher liegen. Denn laut des extra vom Bundestag verabschiedeten Zensus-Gesetzes gelten Studierendenwohnheime als „nicht sensible Sonderbereiche“ – und werden genau wie Gefängnisse, Psychia­trien, Flüchtlingsunterkünfte und Altenheime einer Vollerhebung unterzogen.

Eine großangelegte Boykottkampagne hat sich – anders als bei der bisher letzten Volkszählung vor 24 Jahren – nicht formiert. Gleichwohl ist die massive Datensammelei bei BürgerrechtlerInnen höchst umstritten. Alle Maßnahmen zusammengenommen soll etwa ein Drittel der Bevölkerung dazu gezwungen werden, den Behörden direkt Auskunft zu geben. Arbeitslose müssen sich sogar Fragen wie „Haben Sie in den letzten vier Wochen etwas unternommen, um Arbeit zu finden?“ und „Könnten Sie innerhalb der nächsten zwei Wochen eine bezahlte Tätigkeit aufnehmen?“ gefallen lassen. Insgesamt hebelt das Gesetz das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus. So zwingt es die Betroffenen nicht nur, Daten über sich selbst preiszugeben, sondern gleichermaßen über alle anderen Haushaltsmitglieder. In Einzelfällen erlauben die Regelungen sogar „Erkundungen“ im familiären und nachbarschaftlichen Umfeld.

Die persönliche Schnüffelei ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Die andere ist eine bisher noch nie dagewesene Zusammenführung von Datenbeständen aus staatlichen und nichtstaatlichen Quellen. Wohnungsunternehmen, Meldebehörden, Finanzämter, Arbeitsagenturen – sie alle müssen personenbezogene Daten ohne die Zustimmung der Betroffenen weitergeben. Technisch gesehen entsteht so ein zentral verfügbares Personenprofil aller in Deutschland ansässigen Menschen, das nach aktueller Rechtslage bis zu vier bzw. sechs Jahre lang gespeichert bleibt. Eine Nutzung für andere Zwecke als für die Volkszählung schließt das Gesetz derzeit aus. Wie schnell sich so etwas ändern kann, das zeigt allerdings ausgerechnet das Zensus-Gesetz selbst: Vor dessen Inkrafttreten im Jahr 2009 war die Zweckentfremdung der Daten aus den Finanz- und Meldeämtern sowie den Arbeitsagenturen als Datenmissbrauch illegal und wäre empfindlich bestraft worden. „Die zentrale Verfügbarkeit der Personenprofile weckt Begehrlichkeiten“, erklären daher die Aktiven des AK Vorratsdatenspeicherung, die eine bundesweite Kampagne gegen die Volkszählung organisiert haben. Neben der konkreten Missbrauchsgefahr sei zu befürchten, dass sich die staatliche Datensammelwut auch abseits der Zensus-Umfrage weiter etabliere.

 

Die bsz-Schnüffel-FAQ:
Der Zensus 2011 in acht Antworten

1. Wer wird befragt?

Bundesweit rund zehn Prozent der Bevölkerung. Zusätzlich haben neun Millionen Haus- und GrundstückseigentümerInnen Post bekommen. Außerdem: Die Daten von allen, die in so genannten „Sonderbereichen“ wohnen, werden zu hundert Prozent erfasst. Neben Gefängnissen, psychiatrischen Kliniken und Altenheimen zählen auch Studierendenwohnheime dazu.

2. Wann bekomme ich Besuch?

Die sogenannten „Erhebungsbeauftragten“ sind vom 9. Mai bis Ende Juli unterwegs. Der genaue Termin wird kurz vorher mitgeteilt. Bis Ende des Jahres kann es zu Nachbefragungen zur „Klärung von Unstimmigkeiten“ und zur Qualitätskontrolle kommen.

3. Was will der Staat über mich wissen?

Eine ganze Menge. Wer in einem Studierendenwohnheim wohnt, bekommt elf Fragen gestellt, BewohnerInnen von Privathaushalten sogar 46. Gefragt wird zunächst nach Name und Adresse, Telefonnummer, Geschlecht und Geburtsdatum. Weiter geht es mit Staatsangehörigkeit und Familienstand. Darüber hinaus werden Informationen über eventuelle Partner­Innen und MitbewohnerInnen verlangt, sowie Infos über mögliche weitere Wohnsitze. Außerdem wollen die Behörden wissen, ob man ursprünglich aus Deutschland kommt, oder ob man eingewandert ist. Obwohl es die EU-Regularien nicht vorsehen, erfassen die deutschen Behörden zusätzlich die Herkunft der Eltern sowie die „Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung“. Darüber hinaus werden umfangreiche Angaben zum Bildungsstand, Beruf und zum Arbeitgeber verlangt.

4. Muss ich antworten?

Laut Zensus-Gesetz besteht eine Auskunftspflicht. Einzig die Antwort auf die Frage nach der Glaubensrichtung oder Weltanschauung ist freiwillig. Aber: Niemand muss die Erhebungsbeauftragten in die Wohnung lassen. Unter anderem hat die NPD ihre Mitglieder aufgefordert, sich für dieses Amt zur Verfügung zu stellen. Wer ungebetene Gäste normalerweise wegschickt, braucht hier keine Ausnahme machen. Man kann den Fragebogen auch alleine oder im Internet ausfüllen.

5. Kann ich mich rechtlich wehren?

Statt den Fragebogen zu beantworten, kann man Widerspruch einlegen und gleichzeitig beim Verwaltungsgericht einen „Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung” stellen. Der Eilantrag muss eine ausführliche Darlegung beinhalten, warum man sich durch das Zensusgesetz oder das NRW-Ausführungsgesetz beeinträchtigt sieht. Rechtliche Beratung ist dafür sinnvoll.

6. Was passiert, wenn ich mich weigere, die Fragen zu beantworten?

Laut Gesetz wäre das eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Ordnungs- oder Zwangsgeld belegt werden kann (aber nicht muss).

7. Gibt es kreative Protestformen?

Einige Leute bombardieren die Behörden selbst mit Auskunftsanträgen, nach dem Motto „befragt die Befrager“. Andere haben vor, zwar auf alle Fragen zu antworten, allerdings in einem umständlich formulierten persönlichen Aufsatz. AktivistInnen des Chaos Computer Clubs haben einen Online-Generator für solche Texte geschrieben. Wie die Behörden darauf reagieren, ist noch unklar. Das Bundesstatistikgesetz schreibt inzwischen vor, dass die maschinenlesbaren Formulare benutzt werden müssen. Im Internet kursieren außerdem Aufrufe, die den 9. Mai zum „Tag des zivilen Ungehorsams“ erklären. Obwohl der Boykott des Zensus nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt, ist der Aufruf zum Boykott strafbar. Auch das Beschädigen oder Anonymisieren der Fragebögen kann als Ordnungswidrigkeit gewertet werden. Ebenfalls nicht aufgerufen werden darf zum Fälschen von Fragebögen oder von behördlichen Briefen, die zum Beispiel behaupten, dass die Volkszählung abgesagt sei.

8. Wo bekomme ich weitere Infos?

Im Internet gibt es einige Informationsquellen der Zensus-KritikerInnen, darunter die Seiten www.zensus11.de sowie www.zensus-wiki.tk. Unter www.zensus-fibel.tk gibt es eine umfassende Broschüre zum Thema.

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