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Wie diskriminierte Minderheiten müsse die Homöopathie um Gleichberechtigung kämpfen, erklärt die charismatische Referentin. „Wenn ihr draußen seid, werdet ihr ein Stigma haben. Dabei ist Homöopathie vollkommen normal. Outet euch!“ Sie appelliert an die jungen Studierenden, die Lehre in die Welt hinauszutragen: „Wir sind hier ein kleines Ghetto. Ganz unter uns können wir Energie tanken. Das ist wichtig. Aber wir müssen auch andere überzeugen. Geht auf große Kongresse. Veranstaltet Workshops. Publiziert in Journals. Lasst sie uns unterwandern!“ Die Gemeinschaft der Homöopathinnen und Homöopathen als eingeschworene und unterdrückte Gruppe, die tapfer für die Wahrheit kämpft? Zumindest ersteres scheint zu stimmen: Die Rednerin schwört ihr Publikum ein wie während eines Motivationsseminars für Drückerkolonnen – oder wie bei einer religiösen Indoktrinationsveranstaltung.

Scharlatanerie von Anno dazumal

Auch, wenn die Referentin in Essen ein anderes Bild zeichnet: Tatsächlich hat die Homöopathie in Deutschland einen überraschend guten Ruf. Viele halten sie für eine Form von sanfter Naturheilkunde. Ihnen ist völlig unbekannt, dass sie damit überhaupt nichts zu tun hat. Homöopathie ist eine Behandlungsmethode, die auf den gut 200 Jahre alten Vorstellungen des Arztes Samuel Hahnemann beruht. Die wichtigste Grundannahme: „Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden“. Wenn also eine große Menge Arsen zum Beispiel Kopfweh und Erbrechen verursacht, müsse eine sehr kleine Menge diese Symptome doch bekämpfen, so die medizinisch längst widerlegte Logik. Nach den organischen Ursachen von Krankheiten zu fragen, lehnt die Homöopathie ab. Trotzdem ist die Methode heute Big Business, mit der eine ganze Industrie ihr Geld verdient.

Um die Mittel herzustellen, werden die Grundsubstanzen einer sogenannten „Potenzierung“ unterzogen: Sie werden mit Wasser oder Alkohol verschüttelt oder mit Milchzucker verrieben – also verdünnt. Viele der heute eingesetzten Mittel sind sogenannte „Hochpotenzen“: Sie sind so weit verdünnt, dass kein einziges Molekül des angeblichen Wirkstoffs mehr enthalten ist. Hahnemann nahm an, dass dennoch eine „im innern Wesen der Arzneien verborgene, geistartige Kraft“ wirksam werde. Diese esoterische Erklärung haben Homöopathie-BefürworterInnen mittlerweile mit pseudophysikalischen Theorien angereichert: Sie sprechen von „schwacher Quantentheorie“ sowie von einem angeblichen „Gedächtniseffekt des Wassers“. Beides widerspricht den Grundlagen der Naturwissenschaft. Kein Wunder, dass in mehr als 200 wissenschaftlichen Studien kein einziger belastbarer Nachweis für eine Wirksamkeit erbracht werden konnte – jedenfalls keiner, der über den Placebo-Effekt hinausgeht.

Placebos können wirksam sein

Dass mit Placebos durchaus Behandlungserfolge erzielt werden können, weiß auch die wissenschaftliche Medizin. Studien haben gezeigt, dass dies sogar häufig dann der Fall ist, wenn der Patient nicht getäuscht wird, sondern vom Placebo weiß. KritikerInnen halten es daher für unethisch, kranken Menschen einzureden, dass es sich bei den häufig völlig wirkstoffreien und überteuerten homöopathischen Mitteln um tatsächliche Medizin handle. Außerdem gehen viele MedizinerInnen davon aus, dass bei drei von vier Arztbesuchen das menschliche Immunsystem auch selbst mit der Krankheit fertig werden würde. Die Aufgabe von wissenschaftlich arbeitenden Ärztinnen und Ärzten ist es demnach vor allem, den einen von vier Fällen zu erkennen, bei denen die Selbstheilungskräfte nicht ausreichen. Spektakuläre Fälle zeigen, wie gefährlich es sein kann, wenn das nicht passiert: 2002 starb in Australien ein neun Monate altes Mädchen, deren Eltern ein Ekzem des Kindes ausschließlich homöopathisch behandelten.

Großes Geld für Homöopathie

All diese Argumente ficht die Aktiven der Carstens-Stiftung nicht an. Mit großem Aufwand versucht die Organisation, einer nachwachsenden Ärztegeneration zu vermitteln: Homöopathie sei zu der wissenschaftlichen Medizin gleichwertig. An der Berliner Charité finanzierte sie sogar fünf Jahre lang eine Stiftungsprofessur. Für ein homöopathisches Projekt an der Uni München machte die Stiftung eine Million Euro locker. In der Öffentlichkeit setzt sie auf eine geschickte Uneindeutigkeit, indem sie Naturheilverfahren (von denen manche tatsächlich medizinisch nachweisbare Wirkungen haben) in einem Atemzug mit Hahnemanns Pseudomedizin nennt.

Die TeilnehmerInnen des Wochenendseminars in Essen müssen allerdings überhaupt nicht mehr überzeugt werden. Viele von ihnen kennen die Homöopathie aus ihrem Elternhaus und haben den Glauben in ihre Wirksamkeit praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. „Viele Mediziner haben ein festgefahrenes Bild von ihrem Fach. Diskussion bringt da nichts“, ist sich etwa der Medizinstudent und angehende Homöo­path Ole sicher.

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