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Es scheint eine Erfolgsstory zu sein, wie sie nur das Internet schreiben kann: Als die Ägypter Ahmed Maher and Ahmed Salah vor drei Jahren die Facebook-Gruppe „6th of April Youth Movement“ gründeten, ging es ihnen eigentlich zunächst einmal um die Unterstützung eines lokalen Streiks in den Fabriken der Industriestadt El-Mahalla El-Kubra. Weniger als elf Prozent der ägyptischen Bevölkerung hatten zu dieser Zeit Zugang zum Internet. Gleichwohl wuchs die Facebook-Gruppe auch nach dem Ende des Arbeitskampfes in der Nildelta-Stadt weiter und wurde zu einer zentralen Diskussionsplattform für junge, gut ausgebildete Großstadt-ÄgypterInnen, die sich für soziale und politische Reformen in ihrem Land einsetzten.

Zweiter Protestanlass: Gaza-Krieg

Als im Winter 2009/2010 der Gaza-Konflikt zu einem offenen Krieg eskalierte, organisierten Mitglieder der Gruppe mehrere propalästinensische Demonstrationen – die sich gleichzeitig auch gegen die Kooperation des Mubarak-Regimes mit Israel richteten. Die Reaktionen der Regierung ließen nicht lange auf sich warten: Während die Gruppe inzwischen über 90.000 Mitglieder zählen konnte, wurden 14 angeblich führende Mitglieder verhaftet und Unterstützungs-Webseiten lahmgelegt. Doch es half alles nichts: Die Mitgliederzahl nahm trotz der Repressionen nicht maßgeblich ab. Auch ein Jahr später hat sich daran nichts Maßgebliches geändert. Die Anti-Mubarak-Proteste des Winters 2010/2011 wurden massiv in der Facebook-Gruppe beworben und zum Teil organisiert. In den westlichen Medien hatte der Aufstand in Ägypten deswegen wie schon zuvor der Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali schnell den Ruf einer Internet-Revolution weg – erst recht, als die Regierung Mubarak auf die Proteste reagierte, indem sie die großen Internetprovider des Landes abschalten lies.

4-1-2-Screenshot-FacebookDie Rede von der angeblichen Macht des Netzes beleuchtet allerdings nur eine Seite der Geschehnisse. Sie ist insofern zutreffend, als auch in Ägypten die Menschen ihre Alltagskommunikationsmittel zur Organisation von politischem Protest verwenden. Für den jungen, studentisch und großstädtisch geprägten Teil der Bevölkerung sind das längst SMS, Facebook und Twitter. Andererseits vernachlässigt diese Perspektive, dass damit jener Teil der Protestbewegung überbetont wird, der für westliche BeobachterInnen am sichtbarsten und am leichtesten zugänglich ist. Denn was für die Großstadt-Jugendbewegung zutrifft, ist bei der größten und beständigsten ägyptischen Oppositionsgruppe anders. Die islamistische Muslimbruderschaft erreicht ihre AnhängerInnen nämlich noch immer nicht primär über das Internet, sondern über ein weitläufiges Netz von Moscheen, Sozialstationen und Unternehmen – auch wenn seit etwa vier Jahren verstärkt Webseiten und Blogs im Netz zu finden sind, die der Muslimbruderschaft nahe stehen.

Auslands-TV von Emirs Gnaden

Ein anderer Faktor, der durch die Rede von der Internet-Revolution in den Hintergrund rückt, ist das Satellitenfernsehen. Dabei spielt die  Pluralisierung der Massenmedien für die aktuellen Entwicklungen mindestens eine so große Rolle. Und dafür steht im arabischen Raum ein Name: Al Jazeera.

Bereits im Jahr 1996 wurde der Nachrichtensender mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung des Emirs von Katar in dem kleinen Wüstenstaat im Nordosten der arabischen Halbinsel gegründet. Anlass war das Ende eines Fernsehsenders, den die BBC gemeinsam mit saudischen Investoren betrieben hatte. Nach massiven Zensurforderungen der Regierung von Saudi-Arabien beendeten die Briten die Kooperation, und der neu gegründete Sender Al Jazeera konnte auf eine Anzahl von gut ausgebildeten JournalistInnen zurückgreifen.

Dass ausgerechnet ein neuer Medienkonzern aus Katar zu einer Liberalisierung der Berichterstattung beitragen sollte, ist keineswegs selbstverständlich. Schließlich handelt es sich bei dem Land um eine absolutistische Monarchie, in der alle Staatsgewalt in den Händen von Emir Hamad bin Chalifa Al Thani liegt. Freie Wahlen gibt es nicht, und die Bildung von politischen Parteien ist ebenso verboten wie die von Gewerkschaften. Und obgleich der Emir als einer der wichtigsten Verbündeten der USA in der Region gilt, hält er innenpolitisch ein strenges wahabitisch-islamisches Regime aufrecht, das zum Beispiel „Blasphemie“ mit Haftstrafen bis zu sieben Jahren bestraft. Zeitungen und elektronische Medien werden durch ein striktes Lizenzsystem zensiert.

Seit seiner Gründung hat Al Jazeera fortlaufend mehrere hundert Millionen US-Dollar an Finanzierung aus der Herrscherfamilie von Katar erhalten. Während der Sender die undemokratischen Verhältnisse in seinem Ursprungsland selbst nicht kritisiert, hat er sich im Laufe der Jahre mit den Regierungen fast aller Länder der Region angelegt, indem er die dortige staatliche Propaganda durch verhältnismäßig freie Berichterstattung torpedierte. Seitdem im Jahr 2004 von Dubai aus unter dem Namen al-Arabiya ein konkurrierender Nachrichtensender auf Sendung ging, war auch das Monopol von Al Jazeera auf nicht direkt durch die lokalen Regierungen gesteuerte Berichterstattung gebrochen.

Als der Stecker gezogen wurde…

Die Reaktion der ägyptischen Regierung lässt erahnen, welche Bedeutung die lokalen Autokratien dem Satellitenfernsehen zusprechen. Schließlich ließ das Mubarak-Regime nicht nur in einer bisher einmaligen Konsequenz das Internet abschalten, sondern schloss auch die Büros von Al Jazeera. Aus Kairo hatte der Sender nahezu rund um die Uhr Livebilder von den Protesten übertragen. Außerdem sorgte die ägyptische Regierung dafür, dass der Sender nicht mehr über das weit verbreitete Nilesat-Satellitensystem empfangbar ist. Diese Maßnahmen konnten den Protest auf Ägyptens Straßen nicht zügeln – genauso wenig wie das Abschalten des Internets. Warum? „Die Straße ist das neue Social Network“, erklärten einige DemonstrantInnen bereits kurz nach dem Inkraftreten der Zensurmaßnahmen – unter anderem per Telefonschaltung auf Al Jazeera.

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