Am 6. November brach eines der prominentesten antiken Monumente Italiens zusammen: Eine zwölf Meter lange tragende Mauer der „casa del moralistà“ in Pompeji stürzte an mehreren Stellen ein. Nunmehr ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft Neapel wegen jahrelanger Versäumnisse zum Erhalt der Reste der durch die Vulkanlava des im Jahre 79 ausgebrochenen Vesuvs konservierten Stadt. Gegen Kulturminister Sandro Bondi steht nach der gescheiterten Abwahl seines Ministerpräsidenten immer noch ein Misstrauensvotum im Raum.
Kulturpolitisches Desaster
Inzwischen steht der Einsturz des Weltkulturerbes als Chiffre für eine zerstörerische Sparpolitik des Kabinetts Berlusconi im Kulturbereich, wo in den kommenden drei Jahren weitere 280 Millionen Euro eingespart werden sollen. Durch die rigiden Kürzungen sind nicht nur die Stätten der römischen Antike, sondern auch andere Bereiche des kulturellen Lebens substantiell bedroht: „Wenn die Berlusconi-Regierung ihre Sparpläne nicht ändert, müssen alle Opernhäuser in diesem Land dichtmachen“, wird Stephane Lissner, der Intendant der Mailänder Scala, in den Medien zitiert und fordert die Rücknahme aller Kürzungsvorhaben.
Bildung wird kaputtgespart
Knapp zwei Wochen nach dem Einsturz von Pompeji kam es in Rom zu massiven Protesten, die nicht nur den kulturpolitischen Verwerfungen unter Berlusconis Ägide, sondern vor allem seinen noch drastischeren Sparplänen im Bildungsbereich galten. Italienische Medien berichteten von landesweit über 100 Demonstrationen gegen eine geplante „Bildungsreform“, im Zuge derer 2011 allein im Hochschulbereich 700 Millionen Euro gekürzt werden sollen. Auch die Verabschiedung des Sparpakets am 5. Dezember wurde von massiven Protesten begleitet. Sollten die Pläne tatsächlich umgesetzt werden, könnten zahlreiche Stellen an den italienischen Unis nicht mehr besetzt werden und insbesondere in den als wirtschaftlich unrentabel geltenden Geisteswissenschaften würde ein Fächersterben drohen. Bereits 2008 hatte die Regierung Berlusconi eine ebenso umstrittene Schulreform verabschiedet, die bis Ende 2012 einen Abbau von bis zu 130.000 Lehrer- sowie Verwaltungsstellen vorsieht.
Ein anderes Italien!
Nachdem das Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten mit einer Differenz von nur drei Stimmen knapp im Parlament gescheitert war, beteiligten sich allein in Rom nach Veranstalterangaben über 100.000 vor allem junge Menschen an den Protesten gegen die Berlusconi-Regierung und forderten lautstark „un’Italia differente“. Die Proteste erfassten jedoch nicht nur die Hauptstadt, wo bei Auseinandersetzungen mit Polizeikräften über 100 Menschen verletzt wurden, sondern das ganze Land: Laut Medienberichten gelang es Demonstrant_innen, die sich größtenteils aus Schüler_innen und Studierenden zusammensetzten, in Palermo zeitweilig sogar, die Infrastruktur – darunter den Bahnhof sowie den internationalen Flughafen – teilweise lahmzulegen, während in Mailand die Börse besetzt wurde.
Auf dem Weg zum Generalstreik?
Pierluigi Bersani von der Demokratischen Partei (PD) äußerte Verständnis für die Wut der Demonstrant_innen – schließlich gebe es tausende junger Menschen, denen insbesondere im Hinblick auf die Zustände im italienischen Bildungswesen niemand zuhöre. Doch dies könnte sich bald rächen: Wenn die deutlich geschwächte italienische Regierung den durch die jüngsten nachdrücklichen Protestaktionen artikulierten Willen der von ihren Kahlschlagreformen betroffenen Bevölkerungsgruppen weiterhin konsequent ignoriert und die Proteste einzig mit Polizeigewalt statt mit politischen Zugeständnissen beantwortet, könnte Italien bald einem Generalstreik à la Griechenland entgegensehen. Offenbar hat das Berlusconi-Kabinett jedoch das Radar ausgeschaltet und manövriert blindlings auf die nächste Eskalationsstufe zu.
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