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Unmittelbar nach dem Prozess überwog bei den BeobachterInnen die Freude über das Urteil. „Eine Torte bleibt eine Torte. Der Redakteur wurde freigesprochen und die Staatsanwaltschaft ist blamiert”, erklärte etwa der DGB-Regionsvorsitzende Michael Hermund. Er hatte eine der beiden Anti-Nazi-Veranstaltungen im Oktober 2008 angemeldet, deren Internet-Ankündigung jetzt erneut Anlass für einen Gerichtsprozess war. „Die Staatsanwaltschaft konnte sich nicht mit ihrem Ansinnen durchsetzen, die vielen Menschen zu kriminalisieren, die gegen Naziaufmärsche auf die Straße gehen“, zeigt sich der Gewerkschaftsvorsitzende zufrieden. Auch zukünftig müsse man dafür sorgen, dass das so bleibe.
In seiner umfassenden Aussage hatte der bo-alternativ-Redakteur Martin Budich zuvor deutlich gemacht, für wie konstruiert er die Anklage hält: Noch nicht einmal die Abteilung Staatsschutz der Polizei sei auf die Idee gekommen, dass das inkriminierte Plakat ein Aufruf zu Gewalt sei. „Wenn ein Privatmensch solche Vorwürfe gegen mich erheben würde, dann würde ich juristisch dagegen vorgehen“, betonte der Friedensaktivist und Internet-Redakteur. „Beleidigung, falsche Anschuldigung, ich müsste prüfen, wie ich mich wehren kann.“ Nun müsse das Gericht die „Rufmordgeschichten“ der Staatsanwaltschaft in ihre Schranken weisen. In den Mittelpunkt seiner Einlassung stellte Budich die politische Funktion der Anklage. Sie solle einschüchtern, Widerstand gegen Nazi-Aufmärsche illegalisieren und kritische Medien zur Selbstzensur veranlassen.

Dürftige Argumente

Als Zeuge der Anklage ließ Staatsanwältin Sabine Wenzel lediglich einen Zivilpolizisten aufrufen, der allerdings berichtete, dass die Anti-Nazi-Proteste eigentlich friedlich abgelaufen seien. Lediglich als ein betrunkener Nazi am Bahnhof zu McDonalds gehen wollte, habe die Polizei Pfefferspray einsetzen müssen, um ihn zu schützen. Die weiteren Argumente der Staatsanwaltschaft waren nicht viel stichhaltiger – etwa die Feststellung, dass das Tortenmännchen auf dem Plakat unter anderem wegen der zusammengezogenen Augenbrauen gefährlich wirke. Folgerichtig erklärte Richter Gerd Riechert anschließend in seiner kurzen Urteilsbegründung, dass das alles „absolut nicht“ für eine Verurteilung reiche.
Eigentlich müssten die Bochumer Tortenprozesse den Bund der Steuerzahler ebenso auf die Straße treiben wie die VertreterInnen der Zivilgesellschaft. Was für die einen vor allem eine großangelegte Verschwendung von öffentlichen Geldern ist, stellt sich für andere als politischer Prozess dar. Die ganze Woche vor dem Prozess hatte das Bochumer Bündnis gegen Rechts deshalb zu einer Mahnwache vor dem Landgericht aufgerufen. „Eine Torte ist eine Torte“ stand auf den großen Transparenten, „und Pressefreiheit ist Pressefreiheit“.
Kaum zu glauben, aber wahr: Das Bochumer Tortenmännchen beschäftigt die Behörden und auch den Beschuldigten inzwischen schon zwei Jahre lang. Im Oktober 2008 hatte bo-alternativ.de über einen geplanten NPD-Aufmarsch in Bochum berichtet. Indem das Internetportal dabei auch ein Plakat dokumentierte, das zur Gegendemo aufrief, habe es sich des „Aufrufs zur gefährlichen Körperverletzung“ schuldig gemacht, behauptete die Staatsanwaltschaft. Denn die auf dem Plakat abgebildete Torte sei in Wirklichkeit eine getarnte Bombe, und damit die Aufforderung, mit Waffen zur Demo zu erscheinen.
Bereits im Juli 2009 hatte das Bochumer Amtsgericht dieser eigenwilligen Argumentation eine Absage erteilt. Dennoch gab sich die Staatsanwaltschaft nicht zufrieden und brachte den Fall per Sprungrevision vor das Oberlandesgericht, welches den Fall nach einem weiteren Prozess an das Amtsgericht zurückverwies. Dort gab die zuständige Richterin Heller erstmals der Anklagebehörde Recht – und zog gleichzeitig massive öffentliche Kritik auf sich: Als sie das Urteil ohne Unterbrechung direkt im Anschluss an die Beweisaufnahme und Plädoyers verkündete, war für die anwesenden JournalistInnen und ProzessbeobachterInnen gut ersichtlich, dass sie die Begründung für die Verurteilung von einem schon vor Prozessbeginn vorbereiteten Zettel ablas.

Gemeinsam gegen Kriminalisierung

Unabhängig davon, ob die Staatsanwaltschaft wirklich noch einen fünften Prozess über das Bochumer Tortenmännchen vom Zaun brechen will, forderte bo-alternativ-Redakteur Martin Budich dazu auf, die „überwältigende Solidarität“, die er bei diesem Prozess erfahren habe, fortzusetzten – und zwar zur Unterstützung der zumeist sehr jungen Angeklagten, die im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Pro-NRW-Kundgebung im vergangenen Frühjahr kriminalisiert werden. „Hier stehen ein Dutzend Verfahren an, bei denen dringend Solidarität erforderlich ist.”

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