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Vor gut zwei Jahren hatte Wulff während einer NPD-Demo mit dem Motto „Deutsche, wehrt euch! Gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität“ in Bochum eine Rede gehalten. Unter einem Banner mit der Aufschrift „Multikulti ist Völkermord“ redete der 47-Jährige über „Mafiastrukturen aus dem Ausland“, die sich „in unsere Gesellschaft hineingefressen“ hätten und das deutsche Sozialsystem zerstören. Dieses und andere Versatzstücke des rassistischen Sermons der „Nationaldemokraten“ erfüllten nach Ansicht des Richters Volker Talarowski nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung. Eine solche Tat läge nach dessen Auffassung nur dann vor, wenn eine konkret begrenzbare Gruppe attackiert wird. In Wulffs Fall sei jedoch nicht erkennbar gewesen, ob er sich auf alle in Deutschland lebenden Ausländer, nur die kriminellen Ausländer oder gar die internationale Großfinanz bezogen habe. Außerdem legte der Richter Wert darauf, dass eine politische Bewertung der Vorgänge nicht zu seinem Aufgabengebiet gehöre. Einen Freibrief für künftige Reden an die Kameraden wolle Talarowski dem Nazi-Kader damit indes nicht ausstellen.

Rassismus in der Öffentlichkeit – erst nachdenken, dann hetzen…

Die politische Bedeutung des aktuellen Urteils, das ausgerechnet am Vorabend des 9. Novembers, des Gedenktages an die antisemitischen Verbrechen der Reichspogromnacht, gefällt wurde, erschließt sich jedoch erst durch die Betrachtung der Vorgeschichte des Prozesses. Zunächst muss die Frage, in welchem Maße Rassismus ungestraft in der Öffentlichkeit propagiert werden kann, in den Kontext der Affäre Sarrazin gestellt werden. Die Antwort des Bochumer Gerichts fällt eher pragmatisch aus: „Sie sollten sich gut überlegen, was Sie sagen“, lautete der Rat des Richters an den bereits wegen Leugnung der Shoah verurteilten Nazi. Kenntnisse der entsprechenden Paragrafen und ein Verzicht auf eindeutige Anspielungen können zu Straffreiheit verhelfen.
Im Vorfeld hatte die 6. Strafkammer des Landgerichts die Eröffnung des Verfahrens gegen Wulff zunächst abgelehnt, da sie die Rede als rechtlich unbedenklich eingestuft hatte. Die Bochumer Staatsanwaltschaft erzwang das Verfahren dann aber mit einer Beschwerde beim Oberlandesgericht Hamm. Für die Vehemenz, mit der die Staatsanwälte den Prozess gegen Wulff initiierten, könnte es eine interessante Erklärung geben: den Wunsch nach zwei parallelen Fällen im linken und rechten politischen Lager.

Ausländerhass ist eben kein Straftatbestand

Im Umfeld des NPD-Aufmarschs im Oktober 2008 war es nämlich zu einer Anklage gekommen, die großes Aufsehen in den lokalen Medien bewirkt hatte: Martin Budich, Friedensaktivist und Betreiber der alternativen Nachrichtenplattform bo-alternativ.de, wurde  wegen der Veröffentlichung eines Aufrufs zu Aktivitäten gegen die rechte Demonstration im Juni zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Abbildung einer mit Torte hantierenden Comicfigur wurde als Aufruf zur Gewalt gewertet – der Prozess geht in der kommenden Woche in die vierte Runde.
Nachdem etliche zivilgesellschaftliche Akteure von ver.di über die Grüne Jugend bis zum Allgemeinen Studierendenausschuss der RUB ihre Empörung über den Prozess geäußert hatten, sah sich die Bochumer Staatsanwaltschaft zunehmend mit der Kritik konfrontiert, auf dem rechten Auge blind zu sein. Während Budich jedoch wegen des Aufrufs zur Begehung gefährlicher Körperverletzungen verurteilt wurde, kam Wulff mit einem Freispruch davon.
Abschließend bleibt nur noch die Frage offen, weshalb ausgerechnet gegen Wulff und nicht gegen seine Mitstreiter Claus Cremer und Axel Reitz verhandelt wurde: Die beiden prominenten Neonazis waren während der NPD-Demo am 25. Oktober 2008 ebenfalls als Redner aufgetreten. Im Gegensatz zu Wulff hatten sie jedoch wesentlich deutlichere Worte an ihr Publikum gerichtet. Im Rahmen ihrer Ansprachen waren eindeutig „Ausländer raus!“-Rufe zu hören gewesen, wie sogar Richter Talarowski einräumen musste.

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