Azurblauer Himmel, türkisfarbenes Meer, 25 Grad im Schatten – und das im Januar. Klingt nach Karibik, liegt aber nicht einmal vier Flugstunden von Düsseldorf entfernt: Das Biosphären-Reservat des Chinijo-Archipel nördlich der Kanareninsel Lanzarote. Zu dieser Inselgruppe gehören vier unbewohnte Vulkaninseln, die lediglich von zahlreichen seltenen Vogelarten (u. a. Fischadler, Wüstenfalken und Sturmschwalben) bevölkert werden, sowie das ebenfalls vulkanische Eiland La Graciosa. Asphaltierte Straßen sucht man auf der „anmutigen“ Insel vergebens: Nur einige Sandpisten durchziehen den einzigen Ort Caleta del Sebo („Talgbucht“) sowie den weitgehend naturbelassenen Rest des knapp 30 Quadratkilometer großen Inselchens mit seinen vier Vulkanbergen, die sich bis zu einer Höhe von 266 Metern erheben. Off-road-Fahren durch die von Millionen kleinen Schneckenhäusern und insbesondere im Winter von einem Blütenmeer der einheimischen Flora überzogenen Sanddünen ist strengstens verboten. Ein Paradies also für ruhesuchende Naturfreaks, die so ganz nebenbei Schnee, Eis und Minusgraden auf dem europäischen Festland entrinnen wollen. So weit, so gut.
Im Tiefflug über den Río
Bei all diesen paradiesischen Zuständen sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass das gelobte Eiland lediglich politisch zu Europa gehört: Geographisch handelt es sich bei dem nur rund 100 Kilometer vor der West-Sahara-Küste gelegenen Archipel um einen Teil des afrikanischen Kontinents. Dies wird spätestens dann ins Gedächtnis gerufen, wenn an einem wunderbaren Sonnentag der eine oder andere Düsenjäger der spanischen Luftwaffe im Tiefflug über den gerade mal einen Kilometer breiten Río donnert, der La Graciosa von Lanzarote trennt. Vor den Küsten treiben zudem paramilitärische Marineeinheiten ihr Unwesen, die im Auftrag der „EU-Agentur“ Frontex die Außengrenzen der Festung Europa vor afrikanischen Flüchtlingsbooten „beschützen“.
Paradiesische Parzellen
Dies aber ist nicht der einzige Wehrmutstropfen. So sollen neuerdings offenbar nicht nur Bootsflüchtlinge daran gehindert werden, auf dem Archipel landen, sondern auch Umsonst-Camper_innen aus Festland-Europa wird das Leben zunehmend schwergemacht. So schwärmte Mitte Januar ein Heer gelbuniformierter Werktätiger über das südlich vom Inseldorf gelegene Campingareal aus, das ursprünglich für bis zu 200 zeltende Rucksackreisende ausgelegt war, um massive Holzpflöcke zur Begrenzung des nunmehr beträchtlich verkleinerten Gebiets in den Dünensand einzuzementieren. Dauercamper_innen, welche das Gratis-Campen auf La Graciosa schon seit Jahren als kostengünstige Überwinterungsmöglichkeit nutzen, wurde die polizeiliche Räumung angedroht, wenn sie nicht unverzüglich die neuen Regularien befolgten und sich zunächst auf die festgelegten Parzellen zurückzögen sowie einen definitiven Zeitpunkt für ihre Rückreise angäben. Dies erinnert sehr an das Szenario polizeilicher Räumungen alternativer Aussteiger-Communities auf der bei Teneriffa gelegenen Insel La Gomera, wo die Guardia Civil regelmäßig Strandwohnprojekte am Rande des alternativtouristischen Mekkas Valle Gran Rey („Tal des großen Königs“) gewaltsam beendet.
Nischentourismus (be-)leben!
Noch gibt es ihn aber, den unkommerziellen Nischentourismus jenseits von Afrika, und das ist auch gut so. Denn was wäre die Welt ohne die konkrete Utopie unkommerzieller Nischen, in denen es sich – nicht nur im Winter – in (beinahe) paradiesischer Umgebung zusammen mit netten Leuten gut leben lässt?
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