Seit 63 Jahren – also praktisch seit dem Ende der NSDAP-Herrschaft – wird das Bochumer Rathaus von der SPD geleitet. Dieses Jahr ist das Image der amtierenden SPD-Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz vor der Wahl gehörig angekratzt: Das mit Millionenverlusten gescheiterte Cross-Border-Leasinggeschäft, das Haushaltsloch von jährlich etwa 100 Millionen Euro sowie der Skandal um die verschwundenen Kassenbelege über den Bau der Stadtautobahn werfen kein gutes Licht auf das Stadtoberhaupt. Dennoch geht kaum jemand davon aus, dass Ottilie Scholz bei der Direktwahl am 30. August abgewählt wird – und zwar wegen der Schwäche ihres Gegners. Die Nominierung von CDU-Kandidat Lothar Gräfingholt wird von vielen BeobachterInnen eher als Verlegenheitslösung einer Partei betrachtet, der in Bochum das richtige Personal fehlt. Bereits vor fünf Jahren hatte die damals noch wenig bekannte Ottilie Scholz den Juristen Gräfingholt mit mehr als 20 Prozent Unterschied abgehängt. Trotz dessen ungelenken Edmund-Stoiber-Rhetorik („Bochum bedeutet Blaumann und Blackberry“) könnte dieser Abstand etwas schrumpfen. Dennoch kann sich Ottilie Scholz aller Voraussicht nach auf mehr Macht denn je freuen: Dank einer Wahlrechtsänderung der schwarz-gelben Landesregierung würde sie nach gewonnener Wahl unabhängiger als bisher schalten und walten können – und das nicht nur fünf, sondern sogar sechs Jahre lang.

SPD vor neuem Nachkriegstief

Weniger Grund für Optimismus gibt es für die SozialdemokratInnen bei der Wahl des Rates. Jedenfalls wäre es eine riesengroße Überraschung, wenn sich der seit Jahrzehnten anhaltende und ununterbrochene Abwärtstrend (1979: 56 Prozent, 1989: 54 Prozent, 1999: 41 Prozent) in diesem Jahr nicht deutlich fortsetzen würde. Vor zehn Jahren verlor die SPD das erste Mal ihre absolute Mehrheit und musste eine Koalition mit den Grünen eingehen. Jetzt könnte es sein, dass es auch für Rot-Grün nicht mehr reicht.
Die Grünen haben diese Möglichkeit schon längst eingeplant: Sie machen bereits in ihrem Wahlprogramm deutlich, dass sie prinzipiell für eine Dreierkoalition mit der Partei Die Linke zur Verfügung stehen. Führende SPD-PolitikerInnen stecken dagegen weiter den Kopf in den Sand und leugnen, dass die SPD nach der Wahl auf die linken Stimmen angewiesen sein könnte.

Rot-Rot-Grün oder gar keine Koalition?

Viele BeobachterInnen haben unterstellt, dass der Verzicht der Linken auf eine eigene BürgermeisterInnenkandidatur bereits ein Versöhnungssignal an die weiterhin schwächelnde SPD sein könnte. Die 26 Jahre junge RUB-Studentin und Linken-Spitzenkandidatin Anna-Lena Orlowski gibt sich jedoch alle Mühe, diesem Verdacht zu widersprechen: Nach der Wahl werde die Mitgliederschaft anhand von inhaltlichen Fragen entscheiden, ob man zur Koalition bereit sei. Auch andere Varianten sind zumindest denkbar. CDU-Oberbürgermeisterkandidat Lothar Gräfingholt schlägt vor, auf eine feste Rathaus-Koalition ganz zu verzichten, wenn keines der großen Lager eine Mehrheit bekommt. Auch wenn es SPD und Grüne nicht gerne hören: Sollte der Machtpoker auf ein solches Modell mit wechselnden Mehrheiten hinauslaufen, würde sich kaum etwas ändern. Denn bei einigen wichtigen Entscheidungen, etwa bei der Abstimmung über den Konzerthaus-Bau, organisierte sich die SPD bereits ihre Mehrheit mit Hilfe der CDU, während der grüne Koalitionspartner nicht mitstimmte. Andererseits ließen die Grünen allerdings auch kein zentrales Vorhaben scheitern, wenn sich die SPD keine andere Mehrheit organisieren konnte.

UWG und FDP nur für CDU wichtig

Die Wattenscheider Unabhängige Wählergemeinschaft (UWG) und die in Bochum traditionell schwache FDP (4,2 Prozent in 2004 war das mit Abstand beste Ergebnis seit den 1970er Jahren) dürften nur in einem recht unwahrscheinlichen Fall eine Rolle für die Mehrheitsbildung spielen: Dann nämlich, wenn die SPD nicht nur massiv verliert, sondern die CDU in mindestens gleichem Maße dazugewinnt. Dann könnte es nämlich mit Ach und Krach für eine Mehrheit rechts der SPD reichen. CDU-Spitzenkandidat Lothar Gräfigholt macht außerdem den Grünen Avancen. Die dürften das allerdings dank der Linkspartei-Option getrost ignorieren – anders als im Jahr 1999, als über ein schwarz-grünes Bochumer Modell ernsthaft verhandelt wurde.

Links bleibt‘s spannend

Egal wie die Farbenspiele ausgehen: Ein grundlegender Politikwechsel ist in keiner der Konstellationen zu erwarten. Dafür sind sich die Positionen von SPD und CDU zu ähnlich und der Widerstand der Grünen gegen die millionenschweren Prestigeprojekte zu fadenscheinig. Neben dem Abschneiden der erstmals für den Rat kandidierenden rechtsextremen NPD und dem Ergebnis der neuen MigrantInnenliste „Bochumer unabhängige Demokraten“ (BUND) dürfte also die spannendste Frage sein, inwieweit sich die Linke in die Machtspiele von SPD und Grünen wird einbinden lassen. Denn seit ihrem Einzug ins Rathaus 2004 leistete die dreiköpfige Fraktion regelmäßig wahrnehmbare Oppositionsarbeit, die in den Jahren davor bitter fehlte. Die kleine Soziale Liste, die ebenfalls erneut antritt, wird die Lücke kaum alleine füllen können, sollte die Linksfraktion auf die Seite der Regierenden wechseln, so wie es die Grünen bereits 1999 taten.

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