Bild:

Nach Einschätzungen von Umweltorganisationen ist Belene eines der gefährlichsten Atomkraftwerke, das derzeit in Europa geplant wird. Ob der RWE-Vorstand trotz öffentlicher Proteste und konzerninternen Widerständen diese Investition durchboxen wird, entscheidet sich bald. Teile des Aufsichtsrates stehen dem Projekt kritisch gegenüber. Presseberichten zufolge haben sowohl die kommunalen Anteilseigner als auch Arbeitnehmervertreter deutliche Kritik am Projekt geäußert, weil sie weder die russische Atomtechnik noch den Standort für sicher halten.

Belene: Von den Toten erweckt

Der Plan, im Norden Bulgariens an der Grenze zu Rumänien Atomreaktoren zu bauen, stammt aus den frühen 80er Jahren. Bereits 1983 warnten jedoch sowjetische Wissenschaftler davor. Bei dem bisher letzten großen Erdbeben 1977 starben 120 Menschen nur wenige Kilometer vom geplanten Standort entfernt. Trotzdem hielt das kommunistische Regime an dem AKW-Neubau fest. Nach dem Systemwechsel in Bulgarien schlugen auch Experten der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften 1990 in einer Studie Alarm. Die erste demokratische bulgarische Regierung stoppte das Projekt; es sei „technisch unsicher und ökonomisch untragbar“.

Nach einem Regierungswechsel wurden die Belene-Pläne wieder ausgegraben. 2006 erteilte die bulgarische Regierung den Bauauftrag an den russischen Konzern Atom-stroyexport. Die Menschen in Bulgarien und Rumänien sind besorgt: „Wir möchten nicht jeden Tag mit der Angst leben, dass sich ein zweites Tschernobyl bei uns ereignet“, schreiben 100 Gemeinderäte aus Südrumänien in einem Protestbrief. Dass in Belene ein noch nicht erprobter russischer Reaktortyp gebaut werden soll, sorgt ebenfalls für Kritik. „Wir wollen nicht als Testkaninchen für die russische Atomindustrie missbraucht werden“, sagt Albena Simeonova, Sprecherin einer Koalition bulgarischer Umweltorganisationen.

Nuklearexperten warnen

Im November 2007 schaltete sich auch der ehemalige Leiter der bulgarischen Atomaufsicht in die Diskussion ein. Dr. Georgui Kastchiev hat 34 Jahre Erfahrung im Atomsektor. Heute ist er leitender Nuklearphysiker am Institut für Risikoforschung der Universität Wien. Nach Einschätzung von Dr. Kastchiev „stellt Belene ein nicht tolerierbares Sicherheits- und Umweltrisiko dar. Die fehlende Betriebserfahrung mit dem geplanten Reaktortyp, der Mangel an qualifiziertem Personal und effektiven Kontrollen wird zweifellos zu schlecht ausgeführten Bauarbeiten führen“, sagt der Wissenschaftler, der sonst keineswegs als Atomkraftgegner in Erscheinung tritt. „Wenn man das hohe seismische Risiko der Bauregion und den niedrigen Atomsicherheitslevel in Bulgarien zusammenzieht, kann man nur zu einem Schluss kommen: Dieses Projekt darf nicht weitergeführt werden.“

Banken springen ab

Das AKW Belene soll mindestens sieben Milliarden Euro kosten. Deshalb kann der Bau nur mit Hilfe ausländischer Investoren realisiert werden. Hier liegt die Achillesferse des Vorhabens. 2006 hatten zunächst die HypoVereinsbank und die Deutsche Bank eine Finanzierung in Aussicht gestellt. Als Umweltorganisationen in 60 Städten Proteste vor den Bankfilialen ankündigten, zogen sie jedoch ihr Angebot zurück. Inzwischen haben zehn weitere internationale Banken eine Finanzierung abgelehnt. Nun hofft die bulgarische Regierung, Belene mit Hilfe des deutschen RWE-Konzerns realisieren zu können. Der Energiekonzern will für rund 1,5 Milliarden Euro eine 49prozentige Beteiligung an dem umstrittenen Atomkraftwerk erwerben. RWE hofft, den Vertrag vor Jahresende unter Dach und Fach zu haben.

Umweltorganisationen sagen: FingeRWEg!

Gerade RWE sollte das Risiko kennen, ein Atomkraftwerk in einem Erdbebengebiet zu bauen. Schließlich wurde das von RWE gebaute AKW Mühlheim-Kärlich 1988 nach nur 100 Tagen Betriebzeit durch Gerichtsbeschluss stillgelegt. Denn das AKW liegt in dem seismisch aktiven Neuwieder Becken. Statt aus dieser Erfahrung zu lernen, will der Konzern nun an einem weitaus gefährlicheren Standort zwei Risikoreaktoren errichten. „RWE spielt hier russisches Roulette mit der Gesundheit und Sicherheit von Millionen von Menschen,“ sagt Regine Richter von der Umweltorganisation Urgewald. Umweltverbände rufen deshalb zu öffentlichen Protesten gegen RWE auf. Belene ist wie Tschernobyl etwa 1000 Kilometer von Deutschland entfernt. Im Gegensatz zu Tschernobyl soll Belene jedoch mit dem Geld deutscher Stromkunden finanziert werden.

Die Umweltorganisation Urgewald ruft zu einer Protestkampagne auf. In Briefen soll RWE-Chef Jürgen Großmann aufgefordert werden: Finger weg von Belene! Eine Briefvorlage gibt es unter www.urgewald.de und bei der Urgewald-Geschäftsstelle (02583-1031). Weitere Protestaktionen sind geplant.

 

0 comments

You must be logged in to post a comment.