Das letzte Mal
Vor zwei Jahren suchte meine WG einen neuen Mitbewohner. „Da haben sich zu viele gemeldet“, meinte Heiner*. „Wir müssen die Suche eingrenzen“. „Schreib´ doch, wir nehmen nur Raucher“, sagte Eddy*. „Raucher sind entspannter, machen die besseren Parties und zwingen einen nicht, das Waschbecken von unten zu putzen“, dachten wir und klickten auf „Nichtraucher: Nein.“. Aber können so viele NichtraucherInnen irren? Fragte ich mich kürzlich nach dreieinhalb Jahren des Rauchens. Ich beschloss, in den Semesterferien den Entzug zu wagen.
Bis dahin fühlte ich bei jeder Zigarette den Herzinfarkt nahen, sämtliche Arterien verstopften vor meinem inneren Auge, Feinstaubpartikelchen bauten sich friedlich Nester in meinen Lungenflügeln, meine Beine starben ab, und unfruchtbar wurde ich auch. Das sind natürlich miese Aussichten. Am grauenhaftesten ist aber die Vorstellung, in zwanzig Jahren mit vom Krebs zerfressener Lunge dahin zu siechen, und meine mopsfidele Mutter flüstert meiner Großmutter, die dann immerhin im Rollstuhl sitzt, beim Verlassen des Krankenzimmers zu: „Da ist sie selbst schuld, hat ja auch jahrelang geraucht wie ´ne Bekloppte.“ Und in der Gewissheit, dass sie Recht hat, werde ich eine Träne vergießen und dem Röcheln des Beatmungsgeräts lauschen. Natürlich sprechen auch andere Argumente gegen das Rauchen, und die kennen wir alle. Für viel Geld bekommt man schlechten Atem, braune Zähne, gelbe Finger und eine stinkende Wohnung.
Sie müssen nichts tun…
Bei einer Packung pro Tag sind es ca. 1368 Euro jährlich. Wer 30 Jahre täglich eine Schachtel für 3 Euro 80 kauft, schnipst etwa 41040 Euro in den Aschenbecher. Natürlich ist diese Rechnung für die Katz, denn sie setzt voraus, dass der Schachtelpreis in 20 Jahren 3,80 beträgt und nicht etwa optimistisch geschätzte 14,90 Euro, dass es den Euro überhaupt noch gibt, kein nennenswerter Krieg herrscht und wir nicht alle von Aliens entführt wurden. Dennoch mag es zwar sein, dass ich bis dahin informative Lehrbücher, romantische Urlaube, ein schickes Auto oder ein hübsches Fertighaus in meine Lunge befördere, aber seien wir ehrlich: Der Studierende als solcher spart doch das durch den Entzug erwirtschaftete Geld nicht, um Himmels Willen!, sondern wirft es umgehend für anderen nutzlosen Tand raus (Tonträger, tägliche Döner, niedliche Accessoires von H&M).
Willkommen im Club der Fetten Raucher
Wie auch immer, der Stichtag sollte der 16. Februar sein, der Tag nach der letzten Klausur. Am Morgen jenes Tages besaß ich allerdings noch ein halbvolles Päckchen leckeren Tabak, und so wurde das kühne Vorhaben um einen Tag verschoben. Der Samstagmorgen wird wie erwartet nicht weiter schlimm, im Gegenteil fühlt sich mein Kreislauf ohne die belastende erste Zigarette erstmals seit drei Jahren gesund an. Schlimm wurde es erst mittags, als meine Laune in den Keller stürzte. Weil ich damit niemanden konfrontieren wollte, verbrachte ich den Tag ganz allein. Ich schlage das Buch „Endlich Nichtraucher!“ auf, ein fürchterliches Machwerk. „Sie müssen nichts tun, nur MEINE ANWEISUNGEN BEFOLGEN“, befiehlt der Autor. Verrückter Frechdachs! Ich zündete das Buch sofort an und warf es in die Regenrinne. Am Sonntag informierte ich mich im Internet über Hilfsmittel.
„Rauchen aufhören – aber richtig!“, das wollte mir dort die John-Brickmann-Apotheke beibringen. Viele Raucher würden es sowieso nicht beim ersten Versuch schaffen, wurde mir erklärt, und nähmen außerdem bei jedem Entzugsversuch zu. „Im Idealfall haben Sie sogar die Grenze zum Übergewicht überschritten und können Sich nun in die Gruppe der „Fetten Raucher“ einreihen, die bereits 2 Herzinfarkt-Risiken mit sich herumschleppen.“, teilte mir die Seite charmant mit. Am nächsten Tag durchbrach ich die Isolation und ging ins Fitnessstudio. In unfassbar gereizter Laune traf ich ein, und es war Rosenmontag. Als ich auf den Crosstrainer geklettert war, machte Studiobesitzer Jerry* einen fatalen Fehler und schaltete den Fernseher vom üblichen Sportkanal zur launigen ARD-Karnevalsgala. „Jerry, mach den Scheiß weg!“, fauchte ich ungehalten durch den Laden, und fügte weitere drei Argumente an (schlechte Geräte, versiffte Duschen, zu teuer), weshalb sein Studio eigentlich total lahm und kacke ist.
Dinge, die ich unter anderen Umständen niemals gesagt hätte, auch wenn sie wahr sind. Anschließend zog ich mit zitternden Händen und anderen üblen Entzugserscheinungen weiter, um mein mühselig gesponnenes soziales Netz zu zerstören. Ich treffe auf meinen Redaktionskollegen Kevin*, immerhin auch ein Ex-Raucher. „Kevin, wann hören eigentlich diese grässlichen Entzugserscheingungen auf?“, frage ich. „Gar nicht“, antwortete der Spaßvogel, und ich kreischte entsetzt auf. Damit hatte Kevin Unrecht, nach einer Woche dachte ich meist erst an Zigaretten, wenn ich welche sah. Aber langsam ging mir auf, warum ich bei NichtraucherInnen immer so ein diffus ablehnendes Gefühl hatte: Diese Leute sind vernünftig. Ich kann mich damit nicht identifizieren und fange an zu Trinken. Prost!
*Namen von der Redaktion geändert
sjn
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