Seit über einer Woche nun schon ziert ein großes Graffiti-Ass eine der Rollläden in der Via Volturno Nr. 33 im Bezirk Isola in Mailand. Es ist das Symbol einer studentischen Gruppierung, die sich vor etwa zwei Jahren bei der Besetzung der staatlichen Universität Mailands zusammengeschlossen hat und der zunehmenden sozialen Präkarisierung den Kampf angesagt hat. Neben Studiengebühren von 1500 – 5000 Euro, die eigentlich schon fast immer vorhanden waren und in keiner Weise sozial ausgeglichen sind – es gibt in Italien kein Bafög – steht für diese Gruppe im Augenblick das Problem der Wohnraumpolitik im Zentrum ihrer Unternehmung; in der Modemetropole Mailand kostet ein Apartment die „unmögliche Summe von durchschnittlich 500 Euro“, so einer der Organisatoren des assemblea degli studenti della statale (kurz ASSO), der Vollversammlung der Studierenden der staatlichen Universität.
Nun, etwa eineinhalb Jahre nach der kurzzeitigen Besetzung der „Statale“ (staatl. Universität), sind die Studierenden erneut mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit getreten und gehen in die Offensive. Mit einer provokanten Aktion fordern sie die Kommunalpolitiker heraus: ein siebenstöckiges leer stehendes Haus in der Via Volturno soll besetzt und in ein soziales selbstverwaltetes Studierendenwohnheim umfunktioniert werden. Damit tritt die Gruppe ASSO gleichzeitig auch gegen eine der vielen Wohnungsgesellschaften an, deren Haupteigner Pirelli ist. Pirelli „beherrscht“ in Mailand den Wohnungsmarkt, indem durch taktischen Leerstand die Mietpreise in die Höhe getrieben werden. In einem Flugblatt, dass an die örtliche Einwohnerschaft verteilt werden soll, erklärt Asso ihr Anliegen und fordert dazu auf, durch dieses neu gewonnene Zentrum zusammen mit den Studierenden den Stadtteil Isola kulturell und sozial zu beleben. Es folgt ein Augenzeugenbericht der Besetzungsaktion.
An diesem Samstag (28. April) hatten sich um die Mittagszeit herum im Sozialen Zentrum Pergola schon viele Menschen eingefunden. Einige davon waren Studierende, die anderen waren einfach dort um ihre Solidarität zu zeigen. Bevor es losging, wurde den Anwesenden ein kurzer Film gezeigt: ein Zusammenschnitt aus Interviews zum Thema „Leben und Studieren in Milano“. Da ich kein italienisch verstehe, übersetzte mir ein Freund, dass die Interviewpartner häufig auf eines ihrer zentralen Probleme aufmerksam machten, nämlich die prekäre Wohnraumsituation.
Nach dem Film und einer kurzen Ansprache an die Anwesenden sammelten sich alle im Hof des Pergola. Schon im nächsten Augenblick zog ein bunt gewürfelter Demonstrationszug durch die Straßen des Bezirks Isola, die Parole in alle Himmelsrichtungen brüllend: Case subito! (in etwa: Wohnraum für alle und sofort!). Natürlich hatte dieser spontane Aufzug die volle Aufmerksamkeit der Passanten. Aber dieser sollte erst der Auftakt für die eigentliche Aktion sein. Nach etwa 10 Minuten sammelte sich der Pulk vor einem eher unscheinbaren Gebäude in der Via Volturno. Früher war hier die Provinz-Zentrale der Kommunistischen Partei, verriet das Schild am Eingang.
Die mitgebrachte Musikanlage nahm ihren Betrieb auf, während sich am Eingang schon etwas zu tun schien. Die laut aufgedrehte Musik konnte jedoch nicht verbergen, was sich hinter dem Transparent tat, das den Eingang verdeckte. Etwas wie eine Kettensäge dahinter kreischte plötzlich auf und dieser Lärm hielt ein paar Minuten an. Dann schepperte etwas zu Boden – wie sich hinterher herausstellte war es die Rolllade – und die offensichtlichen Täter huschten unter dem Transparent hervor und verschwanden hinter dem nächsten Häuserblock. Unter Jubelschreien und -applaus stürmten hierauf einige der Versammelten das leerstehende Gebäude. Kurze Zeit später schmückten die ersten Transparente die Fassade. Besichtigungsstimmung kam auf der Wellenlänge einer sich langsam einstellenden Partyatmosphäre. Nach ein paar Interviews mit den Anwesenden war der Tag für mich gelaufen. Ein Tag mit vielen Eindrücken von solidarischer Stimmung, die ich – trotz der Sprachbarrieren – in mich aufsog, denn so etwas wie Sinn für Gegenseitigkeit unter Studierenden ist an meiner Uni in Bochum kaum vorhanden.
Tobias König
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