Schnellverfahren gegen G8-Gegner

Kurzer Prozess für einen Bochumer

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Vor dem G8-Gipfel hatten viele Politiker Angst vor unschönen Bildern und forderten harte Maßnahmen gegen Demonstranten. Ob der Einsatz von Gummigeschossen oder der Anti-Terror-Einheit GSG 9, zum Verhindern eines Eklats schienen viele Mittel zumindest spekulativ recht. Am 11. Mai kündigte Innenminister Schäuble an, dass Demonstranten, während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, für bis zu zehn Tage eingesperrt werden können, wenn nur ein Verdacht vorliegt. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Caffier plante gleichzeitig, Gefangenensammellager einzurichten und Demonstranten in Schnellverfahren zu verurteilen, in denen die Angeklagten weniger Rechte haben als üblich. Neun Menschen wurden auf diese Weise verurteilt – darunter auch ein Student aus Bochum. Er hat mit der bsz darüber gesprochen.

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Am 2. Juni wird der 21-jährige gegen halb sechs Uhr abends während der Proteste in Rostock verhaftet. Hundertschaften der Polizei greifen in regelmäßigen Abständen in die Demonstration ein und nehmen Menschen fest. „Im Nachhinein kann ich mir nicht erklären, warum ausgerechnet ich festgenommen wurde“, erzählt der Bochumer. „Als meine Personalien aufgenommen wurden, habe ich gehört, wie sich die Polizisten darüber abgesprochen haben, wie meine Anzeige aussehen soll – mir kam es vor, als würden sie sich dabei gegenseitig beeinflussen“, erzählt er. Ihm wird vorgeworfen, dass er Steine geworfen hätte. Wie der Vorwurf zustande kam, weiß er bis heute nicht. Der Philosophiestudent wird in die Gefangenensammelstelle in der Rostocker Ulmenstraße gebracht. Dort wartet er mit anderen Festgenommenen darauf, dem Richter vorgeführt zu werden. Die Sammelstelle ist eigentlich eine Turnhalle. „An den Seiten der Halle waren vier Käfige für jeweils 20 Menschen aufgebaut, in der Mitte standen Bürozellen für die Beamten, die mit Spanplatten abgetrennt waren.“

Sechs Stunden später wird er in der Nacht zum Richter gebracht, der den Gewahrsam um sechs Tage verlängert. Nach 15 Stunden bekommt er erstmals etwas zu essen. Die Gefangenen schlafen eingewickelt in dünne Frotteetücher – die Sportmatten, die später auf Fernseh-Bildern der Sammelstelle zu sehen sind, gibt es nicht.

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Einzelhaft in Rostock

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Am nächsten Tag wird der Langzeitgewahrsam vom Landgericht für rechtswidrig erklärt und aufgehoben, daraufhin ordnet die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft an. Die festgenommenen G8-Gegner seien in der JVA dann gezielt in Einzelzellen untergebracht worden, erzählt der junge Bochumer. 23 Stunden am Tag sitzt er allein in der Zelle, eine Stunde lang bekommt er Hofgang. „In der Zelle gegenüber saß ein Spanier, der ein bißchen Englisch konnte. Mit ihm konnte ich mich bei bestimmten Gelegenheiten unterhalten.“

Vier Tage nach der Verhaftung beginnt am Mittwoch die Verhandlung. Die Demonstranten werden von den Beamten des Rostocker Amtsgerichts wie am Fließband abgefertigt. Es gibt keine Beweise dafür, dass der Student zu irgendeinem Zeitpunkt irgendetwas geworfen hat – nur die lückenhafte schriftliche Aussage eines Polizisten. Auch Vorstrafen hat er keine. Trotzdem wird er zu neun Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Die Stimmung im Gerichtssaal ist aufgeheizt und der Staatsanwalt bezeichnet die Angeklagten als „Chaoten“, einen von ihnen auch als „Durchgeknallten“. Nach der Verhandlung darf der Bochumer gehen. „Ich konnte mir nicht vorstellen, direkt nach Hause zu fahren. Ich wollte die letzten Tage der Protestwoche noch im Camp miterleben“, erzählt er. „Was mich vor allem aufgefangen hat, war die Unterstützung der anderen.“, meint er. Zum Prozess waren etwa zehn Leute aus dem Protestcamp gekommen, um ihn zu unterstützen und das Verfahren zu beobachten.

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Zurück in Bochum

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„Meine Anwältin hat beim Landgericht Berufung eingelegt“, erklärt der Student. „Ich hoffe jetzt auf einen Freispruch.“ Zurück in Bochum, geht es für ihn jetzt trotz der Ereignisse in Rostock halbwegs normal weiter. „Ich würde sagen, das hat mich sogar gestärkt. Es haben mich auch viele Menschen während dieser Zeit unterstützt.“, sagt er. Er meint auch: „Die ganze Strategie war darauf ausgelegt , die Leute einzuschüchtern und auch nach außen erzieherisch zu wirken; schließlich war es gleich am Anfang der Protestwoche.“ „Bei den Schnellverfahren pünktlich zur Ankunft der Delegationen handelt es sich in erster Linie um ein Instrument der Abschreckung“, erklärt auch die Rechtsanwältin Christina Klemm, „die mit einem fairen Verfahren nichts zu tun haben. Hier agieren Justiz und Polizei Seite an Seite.“

„Was mir passiert ist, sehe ich Heute als ganz kleinen Aspekt der Repression.“, meint der verurteilte Student. „Ihre schwindelerregenden Außmaße zu rekonstruieren wird noch Monate dauern.“

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