Welten Folge eins:
World of Warcraft
Was könnte schöner sein als die Innenstadt von Bochum? Manche würden sagen: Die Innenstadt von Wattenscheid. Andere würden vielleicht antworten: Ich. Wieder andere entgegnen: World of Warcraft.
Viele Menschen (Zahlen: siehe wikipedia.org) spielen heutzutage sogenannte Online Rollenspiele, wie eben auch besagtes World of Warcraft. Zunächst mag es verwundern, dass das stundenlange Sitzen vor einem Bildschirm derart faszinierend wirkt, dass die Spieler alles andere um sich herum vergessen, inklusive und nicht zuletzt auch ihren eigenen Körper, der mit zunehmender Spieldauer immer mehr der Verwahrlosung anheim fällt. Rasiert wird nicht mehr (das gilt für beide Geschlechter!). Der Trainingsanzug wird auch nicht mehr gewechselt. Die Ernährung wird typischerweise auf schnell Zuzubereitendes reduziert (Nudeln, Telepizza, Schokolade). So kann die Spielzeit optimiert, das heißt maximiert werden.
Auch ein erster Blick auf das Geschehen auf dem Bildschirm bringt keine Klärung: In regelmäßiger Folge werden Bestien und Monstrositäten dahingemetzelt. Die Bestienkadaver müssen dann noch nach Gold, Geschmeide und anderen Kostbarkeiten des Abenteurerlebens durchsucht werden. Gerade dieser zentrale Aspekt des Leichenfledderns wird vom Programm allerdings nicht besonders detailliert dargestellt. Wer einmal nachts ein smirgolartiges menschliches Wesen beim Durchstöbern eines gelben Sacks nach Einwegpfandflaschen im Schein einer Straßenlaterne aufgestört hat, weiß, wovon die Rede ist. Das viehhafte des Fledderns und Grabbelns bleibt also außen vor (man kann es aber in der sogenannten Realität durchaus noch im Winterschlussverkauf der Esprit-Läden beobachten).
Das Sammeln von Ausrüstungsgegenständen hat überhaupt eine zentrale Position im Spiel. Es scheint keinen der Spieler zu stören, dass die Suche nach passenden Gegenständen aus einem Set irgendwie an die Leidenschaft gemahnt, mit der zu anderen Zeiten (aber nicht: in anderen Schichten?) die Nippfigürchen aus den Überraschungseiern gesammelt wurden. Die immer weitere Optimierung (und auch hier das Mengenprinzip; siehe die Bemerkung über die Spielzeit weiter oben) des Charakters (beispielsweise Oger), das heißt seiner Werte, mittels der Akkumulation von Boni, die von den getragenen Gegenständen verliehen werden, scheint dabei der einzige Zweck der ganzen Schlachtorgie zu sein.
Endlich Oger sein
Bleibt der kommunikative Aspekt. Das Spiel bietet die Möglichkeit, sich Textbotschaften zu senden. Diese beschränken sich aber nach einer gewissen Spieldauer auf hastig getippte Abkürzungen von einzusetzenden Fähigkeiten und Zaubertricks, die, man ahnt es schon, die Angriffswerte des Helden im Zusammenspiel optimieren sollen, das heißt in schwindelerregende Höhen treiben.
Legen wir unsere Suchparameter also tiefer: Die Art, wie der Computer Bilder erzeugt ist eigentümlich direkt. Man weiß im Grunde, wie die Bilder sich prozessieren und das auch noch im Zusammenspiel mit den eigenen Handlungen, die man mittels der Bedienelemente des Computers ausführt, und die in dieser Ausführung als kontingent erscheinen müssen („oh hätte ich doch lieber den Feuerball geschleudert anstatt des Blitzes, dann läge das Viech nun tot da, anstatt Ich“). Man kann sehen, dass das Geschehen auf dem Bildschirm also abhängig von den Entscheidungen des Spielers ist. Und mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad verlängern sich die Ketten von Entscheidungen, die zum Ziel führen (dies meint die Niederstreckung immer mächtigerer Gegner und Gegenspieler und keineswegs die Beendigung des Spiels an sich).
Das Immerweiter scheint somit das Prinzip zu sein, nach dem das Spiel funktioniert. Es scheint, als habe sich die moderne Gesellschaft damit einen Simulator für ihre eigene Funktionsweise errichtet. Auch Geld muss man schließlich immer wieder neu ausgeben, ohne dass man einen Gegenstand angeben könnte, der tatsächlich den letzten Kauf darstellen wird. Spitzfindige Naturen werden merken, dass es diesen letzten Kauf eines Individuums aber doch empirisch gebe, nämlich in dem Gegenstand, den ein Mensch zuletzt vor seinem Tod kauft. Und genau in diesem Punkt wird die lebensphilosophische Botschaft von World of Warcraft deutlich: Der Einzelspieler kann austreten und aufhören zu spielen, aber das Spiel wird auch ohne ihn weitergehen, so wie auch das gesellschaftliche Geschehen „Geldausgeben“ immer weitergeht, unabhängig wer gerade lebt und in der Lage ist, einen Nutzen aus den für das Geld ausgehändigten Gegenständen zu ziehen.
Denn auch wenn es ärgerlich ist: Auch ein aufgemotzter Pixeloger haucht irgendwann sein Leben aus, und dann geht alles wieder von vorne los. Und genau hier liegt der entscheidende Bezug zur Realität: Der Oger steht immer wieder da, Wiederbelebung macht es möglich. Ist heutzutage nicht auch jeder Mensch dazu aufgerufen sich selbst zu erfinden, möglicherweise gleich mehrmals, sich für eine Karriere zu entscheiden, oder zumindest in der Lage zu sein, sein Verhalten als Karriereentscheidung darzustellen? Und man kann schon jetzt jeden Personalchef dazu beglückwünschen, dass er sich in nicht allzu ferner Zukunft die Erklärungen für die fehlenden zwei Jahre im Lebenslauf manch eines wiederauferstandenen World of Warcraft-Junkies anhören darf („Von 2007 bis 2009 bin ich als Oger durch ein Wolkenkuckucksheim gelaufen und habe mit einer magisch verzauberten Keule Monstrositäten niedergestreckt, um daraufhin ihre Kadaver nach Gold und Geschmeide zu durchsuchen!“).Â
Auch und gerade wenn Menschen so leben, als gäbe es kein Ende: was bleibt ihnen Anderes übrig? Das Ende werden sie wohl kaum erleben. Denn das Ende ist etwas ganz anderes, als das, was jetzt ist.
-Ende-
Benz
0 comments