:bszkolumne

Es war einmal ein Bauer. Er lebte einsam in einer windschiefen Bretterhütte auf einem grasigen Berghang. Der Bauer war nicht sehr reich. Man könnte sogar behaupten, der Bauer sei arm gewesen. Seine einzige Gefährtin war eine rotgefleckte Kuh. Das Tier mit den treuen Augen war der einzige Reichtum des Landwirts – und das nicht nur, weil sie Milch gab. Jeden Morgen stand der Bauer auf, wusch sich und rasierte sein Kinn. Dann ging er hinüber zum Stall und öffnete die Tür, um seine Kuh zu melken. Danach ließ er das Tier vor der Hütte grasen. Nachdem seine Arbeit im Gemüsegarten getan war, saß der Bauer gerne bei einem Glas Milch im warmen Schein der hinter dem schneezipfligen Bergpanorama versinkenden Sonne im Schaukelstuhl auf der Veranda.

Er schaute seiner Kuh beim Grasen zu und dachte nach. Warum waren die Flecken seiner Kuh rot und nicht schwarz? Warum aß die Kuh grünes Gras, um weiße Milch zu produzieren? War vielleicht das Tier der wahre Souverän dieser Zweierbeziehung, das sich den Druck aus dem Euter nehmen und frisches Stroh in den Stall bringen ließ? Über die Jahre hinweg schärfte die Auseinandersetzung mit den Taten der Kuh die Sinne des Almbewohners. Das Rindvieh veränderte die Sichtweise des Bauern auf die Welt, ohne sich groß darum zu scheren. Es graste vor sich hin und entführte so seinen Besitzer auf der Weide stehend im Galopp in ungeahnte Welten.

Eines Tages erklomm ein Hausierer den steinigen Weg, der zur Kate des Bauern führte. Besuch war dem einsamen Mann stets willkommen, und er lud den Krämer in seine Stube. Bei einem Glas Milch ließ sich der Landmann den neusten Tratsch aus der ihm fremd gewordenen Welt am Fuße des Berges erzählen. Doch mehr als die bunten Geschichten faszinierte ihn der Begleiter des Hausierers. Der wandernde Verkäufer war nämlich nicht allein gekommen.
An einer Leine hatte der Mann aus dem Tal einen quirligen Affen mit seidig glänzendem Fell mitgebracht. Als das Fellknäuel einen drolligen Tanz aufführte, war es um den Bauern geschehen: Er unterschrieb einen rasch aufgesetzten Vertrag und kaufte den langarmigen Gefährten des Hausierers für eine Jahresproduktion Käse. „Mir wird hier oben sonst zu langweilig“, erklärte er dem Verkäufer, der zufrieden seiner Wege ging.

Die Wahrheit war aber eine andere: Dem Bauern war es anstrengend geworden, der Kuh beim Grasen zuzusehen. Ebenso wie die Halme durch die sieben Mägen im massigen Leib der Rotgescheckten walzten und wieder und wieder gekaut wurden, rotierten auch die Gedanken im Kopf des Menschen, wenn er sein Tier betrachtete. Die Auseinandersetzung mit der Welt der Gedanken, die ihm die Kuh abverlangte, hatte oft zu Resultaten geführt, für die sich der Bauer schämte. War es zum Beispiel ethisch vertretbar, dass er seiner einzigen Gefährtin von Zeit zu Zeit vorgaukelte, geschwängert worden zu sein, nur um die vorfreudig bereitgestellte Muttermilch für sich zu beanspruchen? War der Sinn des Lebens vielleicht doch nicht ein Leben nach der Routine des Wetters? Und war er selbst am Ende nur ein einsamer Mann, der stundenlang auf ein Rindvieh starrte?

Der neue Mitbewohner vertrieb diese dunklen Wolken und brachte sein neues Herrchen mit allerlei Sperenzchen und Kunststücken oft zum Lachen. Besonders laut lachte der Bauer, wenn das Äffchen mit großen Augen und mahlendem Kiefer die Kuh imitierte. Ungestört verzehrte das Rind das Gras vor der Hütte. Der Landwirt aber war endlich befreit vom Fluch der störenden Gedanken.
Es war einmal ein Bauer, und daran würde sich auch nichts ändern.