Als sie 16 wurde, hörte C. schlagartig mit dem Rauchen auf. Sie durfte ja jetzt, ganz offiziell, rauchen. Und sie war schließlich eine Rebellin. Gegen das faschistoide, ausbeuterische System. Gegen Unterdrückung allgemein und die von Frauen im Speziellen. Gegen die Bundeswehr und gegen Tierversuche. Gegen Atomstrom und Walfang. Gegen Kapitalismus und Diskriminierung. Für ihr Alter ganz schön vorlaut.

Ihre Eltern verstanden nicht viel von den Aktionen ihrer Tochter. Wie sollten sie auch? Sie verstand sich ja selbst nicht richtig. Trotzdem halfen sie ihr, wo immer sie konnten. Sie kochten ab und zu mal vegetarisch, auch wenn es dann nur verkochten Blumenkohl zu essen gab. Sie nähten an häusergroßen Transparenten, je nach Anlass mit viel Rot und schwarz, giftigem Gelb oder in allen Farben des Regenbogens. C. war ihnen dafür nicht dankbar. Sie war eine Rebellin.
Sie war nicht dankbar, wenn sie ihr Zugtickets nach Heiligendamm oder ins Wendland finanzierten. Nicht dankbar auch, wenn sie Kautionen bezahlten oder eingeworfene Fensterscheiben und ausgebrannte Labore. Keine Spur von Dank, wenn C.s Eltern ihrer Tochter Gefrierbeutel voller Eiswürfel auf Schlagstockbeulen drückten oder die reizgasüberfluteten Augen auswuschen.

Als C. 17 wurde, bekam sie Post von dem Staat, den sie so verabscheute und in dem zu leben sie gezwungen war. Ihrer Zeugnisverleihung war sie aus Protest gegen die Selbstbeweihräucherung der Elite ferngeblieben. Fast tote Menschen, die in ebenso halbtoten Institutionen leblose Reden halten, nur um dann mechanisch tote Tiere zu essen, bevor sich die versammelte picklige Bourgeoise von morgen ungelenk in zu großen Anzügen und spätestens nach dem Essen zu engen Kleidchen in Vorwegnahme des beruflichen Lebens über das glatte Parkett walzt? Nein. Das war nur so ein weiterer Auswuchs einer Welt, die nicht ihre war, hatte C. gedacht. Eine unterdrückte Billiglohnarbeitnehmerin brachte also den Umschlag mit dem Schrieb direkt frei Haus.  Das Abitur schwebte wie ein Damoklesschwert über C.s Haupt. Was sollte sie tun? Die vom Staat geöffnete Tür aufrecht zuschlagen? In den Untergrund gehen? Banden bilden wie Pippi Langstrumpf? Medizin studieren wie Guevara? Oder Recht wie Horst Mahler? Nach jugendlich-reifer Überlegung entschied sich C., den Kampf gegen die Obrigkeit direkt unter den Augen selbiger auszufechten. Es war an der Zeit, die Zwille an den Nagel zu hängen und das Schwert gegen die Feder einzutauschen.

Wenig später hatte C. den ersten Kampf schon verloren – gegen den Numerus Clausus. Religionswissenschaften und Philosophie – immerhin zu Sartre konnte sie es noch bringen.

Aber dann ging C. unter. Und zwar in der Masse ihrer Kommilitonen, oder, wie sie es ausdrückte, Kommiliton*_Innen. Revolutionäre Teenager wie sie trafen mit der Wucht eines doppelten Abiturjahrgangs auf alteingesessene Revoluzzer in den Hörsälen, die es sich im Speck der staatlichen Institution gutgehen ließen. Da saßen sie nun alle, strickten gemeinsam und tauschten Tofu-Rezepte aus. Sie waren politisch korrekt, sie waren einfach perfekt – und das machte C. stutzig. Sie wollte nicht mehr die latent ungewaschene Uniform der „Dagegen!“-Fraktion anlegen, wie es sonst alle taten. Dann lieber sich selbst treu bleiben. C. war eine Rebellin.

Sie tat dass, was sonst nur die Radikalsten tun, und schrieb sich ein in BWL.  Da saß sie nun über Statistiken und Unternehmensindizes und träumte von den alten Zeiten – als ein beachtlicher Teil der Studienanfänger der Pubertät und ihren Idealen entwachsen war. C. war ja ohnehin schon immer der Meinung gewesen, dass G8 großer Unsinn ist.

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