Bild: Das zweite Selbst: Mensch und Telefon verschmelzen zum Cyborg. , Kommentar: Cyborg Anthropology: Das Smartphone als Erweiterung des geistigen Selbst Illustration: ann/mar

Der Smartphon(e)ismus hat mittlerweile so gut wie jede/n erwischt. Selbst die letzten willensstarken SmartphonegegnerInnen sind angesteckt worden – und manche bereuen es. Man sieht sie nun genauso wie die anderen alle fünf Minuten auf ihr Gerät blicken und es wieder zurück in die Hosentasche stecken. Es wird neben das Mittagessen gelegt, mit ins Bad und ans Bett genommen. Was bedeutet diese Omnipräsenz des Smartphones im Alltag eigentlich?

Die amerikanische Fachdisziplin Cyborg Anthropology beschäftigt sich mit dem interaktiven Verhältnis zwischen Mensch und Technologie. Dieser anthropologischen Perspektive zufolge ist der Mensch längst derartig mit dem Smartphone verschmolzen, dass er ein Cyborg ist. Schon so gut wie immer hat der Mensch gerne seinen Körper um gegenständliche Applikationen ergänzt, damit er zum Beispiel Skifahren oder ins All fliegen kann. Das Smartphone allerdings stellt eine Erweiterung des geistigen und nicht des physischen Selbst dar und unterscheidet sich damit grundlegend von den bisherigen Cyborgs.

Mentale Bereicherung

Physische Erweiterungen werden für eine bestimmte Aktivität benutzt und danach wieder abgelegt. Das Smartphone ist ebenfalls ein Gegenstand, der auf den ersten Blick eine physische Applikation darstellt: Wir halten den Minicomputer in den Händen oder transportieren ihn in direkt am Körper anliegenden Taschen. Der Unterschied ist allerdings, dass er uns mental bereichert – und zwar ständig. Mit dem Smartphone agieren wir als unser zweites (Online)-Selbst und müssen dieses pflegen, indem wir unser Facebookprofil aktualisieren oder auf WhatsApp-Nachrichten antworten. Wir haben uns also um ein zweites Selbst ergänzt, welches natürlich Zeit bedarf. Aber woher nehmen wir die Zeit, die vorher gerade einmal für das eine reale Selbst auszureichen schien?

Erweiterung und Behinderung

Wir zwacken kostbare Stunden vom realen Selbst ab, indem wir zum Beispiel in Anwesenheit von Mitmenschen nur mal eben FreundInnen antworten wollen oder  mal kurz die letzten 20 verpassten WhatsApp-Gruppennachrichten nachlesen möchten. Letztendlich erweitern und behindern wir uns gleichzeitig. Schleichend schlägt die anfängliche Euphorie gegenüber dem Smartphone in eine Hassliebe um, die man vor allem dann spürt, wenn man mal eben duschen möchte. Aber zum Glück gibt es die Dinger mittlerweile in wasserdicht. Der Smartphonismus ist nicht heilbar.

 

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