Bild: Die Göttinnen haben gerufen: An einem hellen und warmen Abend auf dem Weg zum Vortrag in der Frauenbibliothek., Religionen, Frauenbilder und Frauenfeindlichkeit Foto: Patrick Henkelmann

Betrachtet man Religionen kritisch, kann man auch die Stellung der Frau und ihre Gleichberechtigung in Augenschein nehmen. Selten aber wird das mythologische und theologische Frauenbild der Religionen an sich betrachtet. Dabei hat selbiges einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse in den jeweiligen Kulturräumen. Letzte Woche Montag fand in der Frauenbibliothek Lieselle (in GA) zu eben diesem – viel zu selten beleuchteten – Thema ein außergewöhnlich interessanter Vortrag statt. Die aus Tübingen angereiste Theologin, Mythenforscherin und Buchautorin Vera Zingsem referierte aus feministischer Perspektive über religiöse Frauenbilder, von den drei Frauen Adams über die von Zeus geborene Athene bis hin zur sumerischen Göttin Inanna. Ein Publikum von mehr als 20 Frauen und Männern füllte abends die Frauenbibliothek, wobei das Spektrum von engagierten Feministinnen bis zu Studenten der Religionswissenschaft reichte.

Vera Zingsem ist Vorstands- und Gründungsmitglied von PolyThea e. V., der „Akademie für weibliche Spiritualität und postpatriarchale Visionen“. Dementsprechend vertritt sie eine religionsübergreifende, neue religiöse Orientierung, bei welcher der interreligiöse Dialog und die „Vielfalt der Göttinnen“ im Fokus stehen. Ganz unabhängig davon, ob man selbst mit solch einer oder überhaupt mit irgendeiner Religion etwas anfangen kann, versteht Zingsem es, auf unterhaltsame Weise eine Fülle an interessanten Informationen und Denkanstößen zu vermitteln. Und eben auch einiges an religiösem Wissen, das bei der Analyse der heute bei uns herrschenden Geschlechterverhältnisse gewinnbringend ist. Gesellschaften sind doch stets nicht nur von ihren Produktionsverhältnissen, sondern in ähnlichem Maße auch von kulturellen und religiösen Faktoren geprägt – selbst dann, wenn die gelebte Religion ihre Bedeutung längst verloren hat.

Monotheismus versus Göttinnen

Wie Zingsem zu Beginn ihres Vortrags erzählte, hatte sie sich der Thematik des Göttlichen ursprünglich durch das Studium der Katholischen Theologie annähern wollen. Während ihres Studiums in Israel und ihrer dortigen Auseinandersetzung mit den drei abrahamitischen Weltreligionen – Judentum, Christentum, Islam – kam sie jedoch zu der Erkenntnis, dass es im Monotheismus in religiöser Hinsicht „keinen Raum für Frauen“ gebe. Schon weil Frauen dort mythologisch kaum vorkommen. Inspiriert durch die Beschäftigung mit Göttinnen anderer Religionen, wandte Zingsem sich daraufhin dem Anliegen zu, „die Vielfalt der Göttinnen und Götter wieder in die Welt zu bringen“, sowohl im Bereich der Wissensvermittlung als auch in dem der Spiritualität. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sie in diesem Geist eine Reihe von Büchern geschrieben, darunter ihr mehrfach neu aufgelegtes Standardwerk „Göttinnen großer Kulturen“, das Buch „Lilith: Adams erste Frau“ sowie das 2013 erschienene „Und Sie erschuf die Welt“, welches von Schöpfungsmythen und deren Bedeutung handelt.

Das hoch problematische religiöse Frauenbild, welches unsere vom Christentum geprägte Kultur bis heute beeinflusst, werde besonders bei der biblischen Erzählung von Adam und Eva als erstem Menschenpaar deutlich – und basiere teils auch darauf. Dementsprechend nahm Vera Zingsem jene Erzählung und deren Versionen in der jüdischen Überlieferung als erstes in den Fokus. Während manche ja noch wissen, dass die Frau an Adams Seite zunächst nicht Eva, sondern Lilith war, weiß kaum jemand, dass es zwei Evas gab – womit Adam insgesamt drei Frauen hatte. Lilith war eigentlich eine Göttin der sumerischen und babylonischen Mythologie, mit welcher die Juden während der babylonischen Gefangenschaft (597 bis 539 v. Chr.) in Berührung kamen. Die Göttin Lilith hatte Flügel und wurde von Eulen (Symbolen der Weisheit) und Löwen (Zeichen ihres feurigen Charakters) begleitet – besaß also, wie andere große Göttinnen auch, die später als männlich geltenden Attribute der Geistigkeit und Kraft.

Lilith, die kraftvolle Frau

Als Adams erste Frau wurde Lilith ebenso wie Adam aus Erde geschaffen. Doch war Adam nicht bereit, Lilith als gleichberechtigt zu akzeptieren und wollte sie unbedingt unterwerfen. Als Reaktion auf Adams beharrliche Unterwerfungsversuche flog die geflügelte Lilith ihm schließlich davon. Wie  Zingsem weiter ausführte, wurde Lilith in der Erzählung daraufhin von Gott dazu verdammt, eine blutrünstige Kindermörderin zu sein, und wurde mythologisch entsprechend dämonisiert. Nach Lilith kam dann die erste Eva, die ebenfalls unabhängig von Adam erschaffen wurde. Adam lehnte sie als Frau jedoch ab und ihre Spur verliert sich in der Überlieferung. Als drittes kam schließlich die zweite Eva, die aus Adams Rippe erschaffen wurde. Diese Eva ist von dem Mann abhängig und letztlich nur ein Mittel für die Befriedigung seiner Bedürfnisse.

Das Konzept einer Frau, die aus dem Manne kommt, stelle die Natur auf den Kopf – werden doch Männer wie Frauen von Frauen geboren. Und es werte, so Zingsem, die Frau und die Natur ab (die beide später auch gleichgesetzt wurden), zugunsten einer schädlich überhöhten Männlichkeit. In anderer Form finde sich dieses seltene Konzept in der griechischen Mythologie, beim obersten olympischen Gott Zeus, der aus seinem Kopf die Göttin Athene gebar (ähnlich wie er aus seinem Oberschenkel den Gott Dionysos gebar). Wie auch in der anschließenden Diskussion erwähnt wurde, sollte man anstatt von dem reichlich fragwürdigen weiblichen „Penisneid“ lieber öfter den hier zum Ausdruck kommenden männlichen „Gebärneid“ thematisieren.

Lehrreicher Abriss

Außerdem ging es an jenem Abend in netter Atmosphäre noch um die Symbolik der Schlange und der Äpfel, die sumerische Göttin Inanna und ihre Abenteuer, Attribute großer Göttinnen, die Geschlechtergerechtigkeit in der germanischen Mythologie, Frauenfeindlichkeit im alten Griechenland, die unweibliche christliche Maria, das Verhältnis von Frauenfeindlichkeit zu Homosexualität und Homophobie sowie um geschlechtergerechte Sprache. Natürlich kann so ein umfangreicher Themenkomplex wie das Frauenbild der Religionen im Rahmen einer knapp dreistündigen Veranstaltung überhaupt nur angerissen werden. Eben das hat Vera Zingsem aber unterhaltsam wie lehrreich vermocht. Man kann ihr auf jeden Fall darin zustimmen, dass unserer Kultur ein kraftvolles Frauenbild wie das der Lilith fehlt.

Patrick Henkelmann

 

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